2 I. Die Gründung des Norddeutschen Bundes u. des Deutschen Reiches.
v. Stein, entworfen wurden, unausführbar waren und selbst un-
ausführbar gewesen wären, wenn die Staatsmänner Osterreichs
und der Mittelstaaten von deutscher Gesinnung erfüllt gewesen
wären, was sie freilich nicht waren. Die Hindernisse, die sich
der Verwirklichung dieser Verfassungspläne entgegenstellten,
waren innere und äußere. Sie ergaben sich aus der politischen
Gesinnung, wie sie in dem größten Teile des deutschen Volkes
herrschte, sie ergaben sich aus der Gestaltung der deutschen
Staaten wie aus dem Verhältnisse Deutschlands zu den euro-
päischen Großmächten.
Die Lieder und Gesänge der Freiheitskriege, die Be-
strebungen einer kleinen Zahl von Patrioten, die Ideale, die
der Jugend, vor allem der studierenden Jugend, der Burschen-
schaft, vorschwebten, sie dürfen darüber nicht täuschen, daß die
politische Gesinnung der großen Masse des Volkes in den ersten
Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine partikularistische war.
Die geschichtliche Entwicklung hatte zu einer Zersplitterung
Deutschlands in zwei europäische Großmächte und zahlreiche
mittlere und kleinere Staaten geführt, die zum großen Teil
in sehr willkürlicher Weise gebildet waren. So unergquicklich
und armselig die rechtlichen und politischen Zustände in diesen
Staaten und Stätchen vielfach waren, die Bevölkerung hatte
sich doch in sie eingelebt und wollte sie nicht um den Preis
der Selbständigkeit des Staates aufgeben. Ein Teil der
Gebildeten schwärmte für die Idee der deutschen Einheit.
Niemand aber wollte die berechtigten und unberechtigten Eigen-
tümlichkeiten des engeren Vaterlandes missen. Der Preuße
fühlte sich als Preuße, der Sachse als Sachse, der Bayer als
Bayer und erst in weitem Abstand hiervon als Deutscher.
Nur langsam, nur nach bitteren Erfahrungen und Demütigungen
faßte in der Masse des Volkes die Überzeugung Wurzel, daß
die höchsten Interessen der Nation das Opfer des Partikularis=
mus forderten, daß die deutschen Staaten in ihrer Vereinzelung
die großen Aufgaben, die die Gegenwart dem Staate stellt,
nicht erfüllen können und daß sie den politischen und wirt-
schaftlichen Interessen auch außerhalb der deutschen Grenzen
Anerkennung und Schutz nicht zu gewähren vermögen. Die
geistige Einheit in Wissenschaft und Kunst konnte keinen Ersatz
für den Mangel politischer Einheit und Macht bieten. Den
Partikularismus galt es zu überwinden, ehe die Errichtung