378 Erster Theil. Achter Titel.
§. 29. Der Staat kam das Privateigenthum seiner Bürger nur alsdann ein-
schränken, wenn dadurch ein erheblicher Schade von Andern oder von dein Staate selbst
abgewendet, oder ihnen ein beträchtlicher Vortheil verschafft werden, beides aber ohne
allen Nachtheil des Eigenthümers geschehen kann.
§. 30. Ferner alsdann, wenn der abzuwendende Schade, oder der zu verschaf-
sende Vortheil des Staats selbst, oder anderer Bürger desselben, den auf der Einschrän-
kung für den Eigenthümer entstehenden Nachtheil beträchtlich überwiegt 20).
§. 31. Doch muß in diesem letzteren Falle der Staat wgleich dafir sorgen, daß
der einzuschränkende Eigenthümer für den dadurch erleidenden Verlust vollständig 20°)
schadlos gehalten werde 21).
§. 32. In allen Fällen aber können Einschränkungen des Eigenthums, welche
daß in dieser Entscheidung das Obertribunal jenen Plenarbeschluß auf meine Theorie von der Gleich-
berechtigung zurückführt. (S. 39 a. a. O.)
19) Oben Anm. 82 zu §. 72 der Einleitung.
20) Die Voraussetzungen in den beiden §§. 29 u. 30 hat der Richter nicht zu beurtheilen; der
Gesetzgeber hat für die Staatsgewalt diefe Vorschriften gegeben, denn dieser allein steht es zu, die Ein-
schränkung oder Eutziehung des Eigenthums zum Gemeinwohle anszusprechen. Ein Minister ist dazu
nicht ermüchtigt. Der Minister der Polizei hat z. B. zwar durch eine Verfügung vom 5. Juni 1833
dem Privatgrundbesitze die Servitut aufgelegt, sich die Truppenübungen ganz nach Willkür der Befehls-
haber gefallen lassen zu sollen. (v. Kampp, Annal. Bd. XVII. S. 559.) Ec sehlt jedoch an einer
gesetzlichen Bestunmung, wodurch er dazu ermächtigt worden. Vergl. §. 32 d. T. — (3. A.) Wenn
aber unter dem Titel einer polizeilichen Anordnung ein Eingriff in das Privateigenthum geschieht,
z. B. wenn aus strompolizeilichen Rücksichten die Bepflasterung des dienstbaren Grundgutes angeord-
net wird; so kommen weder die §S§. 29, 30 d. T. zur Anwendung, noch ist der Rechtsweg in posses-
dorio, in petilorio aber nur unter den Voraussetzungen des §. 2 des G. vom 11. Mai 1842 (G.S.
S. 192) zulässig. Erk. des Gerichtsh. zur Eutsch, der Rompetengkoufl. vom 3. Juni 1854 (J.M. Bl.
S. 375), und die Entsch. in einer ähnlichen Sache von demselben Tage (ebd. S. 381). Vergl. oben
Anm. 84 zu F. 146, Tit. 7.
20 aà) Vergl. unten §. 9, Tit. 9 u. die Anm. 5/ dazu.
21) Die Bestimmung ist nur dann anwendbar, wenn ein, in seinen Eigenthumerechten nicht ein-
geschränkter Besitzer einer Sache, nach den in jedem einzelnen * besonders zu treffenden Anord-
nungen des Staats, zum Wohyle des Ganzen oder Einzelner sich Beschränkungen seines Eigenthums
unterwersen muß, welche ihm Nachtheile brugen. (5. A.) Den Eigenthümern der die Straße begren-
zenden Wohnhäuser und Gebäude z. B. muß dasjenige Recht der Benutzung der Straße und der
ungeschmälerten Kommumikation mit derselben, dessen sie ihrer Lage nach bedürktig sind, nicht bloß ver-
günstigungsweise oder nach administrativem Ermessen, sondern dauernd und mit dem Charakter eines
wohlerwordenen Rechtes gewährt werden und Veränderungen in der Anlage oder dem Nivellement
der Straße, durch welche jenem Rechte Eintrag geschieht, dürfen, wo solche durch Gründe des öffent-
lichen Wohles geboten sind, nur gegen Entschädigung des Beeinträchtigten vorgenommen werden. Erk.
des Obertr. v. 10. April 1866 (Arch. f. Rechtof. Bd. LXII. S. 277). Sie ist aber nicht anwenddar,
wenn das Eigenthmmn gesetzlichen Beschränkungen unterliegt, von welchen in den t8. 33 ff. die Rede
ist. Dann treten die Vorschriften Tit. 22, 88. 1 u. 2 ein. Entsch. des Obertr. Bd. XVII, S. 377.
Pr. 2220 (Pl.-Beschl.) vom 1. Juli 1850 (Emsch. Bd. XX, S. 3). — S. o. die Anm. 84 in 8. 76
der Einleitung. #
Die von der Polizei verweigerte Erlaubniß zur Wiederbebaunng einer Stelle, auf welcher bereits
ein Gebäude mit polizeilicher Erlaubniß errichtet gewesen, ist nicht als eine der, in den §. 66 ff. d. T.
vorgeschriebenen Einschränkungen des Eigenthümers dei dem Bauen zu betrachten, sondern als eine
zum Wohle des gemeinen Wesens erfolgende Einschränkung des Privateigenthums, die für den betrof-
senen Besitzer der Baustelle einen Eutschädigungsanspruch, gemäß §. 75 Einl. u. 8. 31 d. T., begründet.
Pr. 220, v. 8. April 1837. (5. A.) Ueder die Person des Ersatzverpflichteten enthält das Pr. nichts,
die Frage, wer die Emschädigung jedesmal zu leisten habe, kam nicht zur Erwägung, es wurde jedoch
der Fiskus verurtheilt und man „ist offenbar von der Voraussetzung ausgegangen, daß die damalige
Aufopferung zum Wohle des gemeinen Wesens, d. h. des Staatsganzen geschehen sei“, sagt das Oberrr.
nachträglich in dem Erk. vom 27. Februar 1865 (Emsch. Bd. LIII. S. 48), um dem Vorwurse eincr
Inkonsequenz zu begeguen. In jüngereo ähnlichen Fällen erklärte das Obertr. die Stadigemeinde, nicht
aber den Fiekus zur Emschädigung verpflichiet, in dem Erk. vom 13. Oktober 1857 (Arch. f. Rechtsf.
Bd. XXVI. S. 269), v. 24. April 18360 (Emsch. Bd. XLIII. S. 23), und in dem angef. Erk. vom
27. Februar 1865. Vergl. hierüber auch oben die Anm. 84 zu §. 75 der Einleitung, u. unten An-
merk. 39 5 zu F. 66 d. T.