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mit Behagen erging er sich unter den Hebräern in ihrer so ganz
verschiedenen Bildung und Gesittung.
Capito war weich und bestimmbar, er neigte zur Melancholie
und Grübelei. Seine religiösen Gesinnungen haben einen mystischen
Anflug. Er selbst spricht von seinem Temperamente der Nieder-
geschlagenheit und setzt sich denen entgegen, die einen anmaßenden,
stolzen, streitsüchtigen Geist haben, den eitlen Naturen, die um des.
Ruhmes willen alles wagen. Wir haben von ihm ein Lied: „Gib-
Fried zu unser Zeit, o Herr!“ Das bezeichnet ihn ganz. Ein tiefes
Ruhebedürfnis geht durch seine Seele. Er war stets ein Friedens-
stifter und Vermittler. Nachdem er längst mit dem alten Glauben
innerlich gebrochen, enthielt er sich doch jedes auffallenden Schrittes
und suchte dem Evangelium nur im Verborgenen zu nützen. Noch
zuletzt in Mainz als Kanzler und vertrauter Rath des Erzbischofs
suchte er diesen bei guter Laune zu erhalten, damit er gegen Luther
nicht einschreite, und andererseits Luther zu beschwichtigen, damit er
den Kirchenfürsten nicht aufbringe. Endlich aber der zweideutigen.
Stellung und des Hoflebens doch müde, verließ er Mainz um als
Probst des Stiftes St. Thomas in Straßburg die ersehnte Ruhe
zu suchen. Als er hier seine Friedensbemühungen fortsetzte und sich
an Zell mit abmahnenden Vorstellungen wendete: da gelang es um-
gekehrt diesem braven schlichten Manne, den vornehmen gelehrten
Probst zu sich herüberzuziehen und aus ihm einen unerschrockenen
Verkündiger des Evangeliums zu machen.
Caspar Hedio, ein Badenser, zu Ettlingen 1494 geboren,
hatte Capito in Mainz als Hofprediger zur Seite gestanden und
war jetzt einem Rufe nach Straßburg gefolgt, um bald die Erwar-
tungen derjenigen zu täuschen, welche an ihm einen Vertheidiger des
Alten zu gewinnen hofften. Auch er war keine nach außen gerichtete
Natur und zog die Studirstube der Kanzel vor. Aber wenn wir
in Capito einen Mann der Wissenschaft von tiefem schwerbefriedigten
Gemüth und idealem poetischen Hauch erkennen, so erscheint uns
Hedio mehr als der behagliche Bücherwurm, den seine kleine Welt