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Vielleicht ist nichts so geeignet uns die unmittelbare Empfin-
dung des Geistes zu geben, in welchem Straßburg die Reformation
durchführte, als der musikalische Charakter der Kirchenlieder. Es
ist ein hoher, ernster, aufgeklärter, aber etwas nüchterner und kühler
Geist.
In eben diesem Geiste konnte Butzer schon Ende 1524 über
die von uns erzählten Reformen des Cultus berichten. Mit welcher
Milde und Versönlichkeit, mit welcher verständigen Kühle bespricht
er dabei die Fragen, welche schon begonnen hatten die junge evan-
gelische Kirche zu entzweien, die Lehren vom Abendmal und von
der Kindertaufe: „So wie das Reich Gottes nicht Essen und Trinken
ist — bemerkt er — also ist es auch nicht die Wassertaufe, sondern
Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist.“ Nir-
gends kommt in jener Zeit so wenig Pfaffenthum zum Vorschein,
wie in Straßburg. —
Mit jenen Reformen aber gab sich die Bürgerschaft nicht zu-
frieden. Es genügte ihr nicht, daß das Neue fest begründet und
eingerichtet war, man wollte das Alte förmlich beseitigt wissen.
Man nahm Anstoß daran, daß der römische Cultus überhaupt noch
in dieser und jener Kirche bestand.
Schon 1525 wurde dem Rath eine Bittschrift um Abschaffung
der Messe überreicht, und die Agitation gegen dieselbe steigerte
sich von Jahr zu Jahr. Der Rath hütete sich auch hier sorgfältig
vor jedem voreiligen Schritt, er suchte zunächst die Reste des ka-
tholischen Cultus möglichst einzuschränken und die Geistlichen im
Guten zu bewegen, daß sie davon abstünden. Aber als das Bei-
spiel der schweizerischen Kirche immer mächtiger auf Straßburg
wirkte; als Butzer und Capito scharf gegen die Messe predigten
und sie als Abgötterei bezeichneten; als die Bittschriften um Besei-
tigung von allen Classen der Bevölkerung einliefen, von den Pre-
digern, von vielen Bürgern, von einzelnen Rathsmitgliedern und
ganzen Zünften; als selbst einige Weiber baten, man möge doch sie
machen lassen, mit ihren Händen und Kunkelstöcken wollten sie die