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wesen vor, wie es die Reformation fast überall im Gefolge hatte.
Dazu war aber die Großstadt nicht angethan, und Butzer mühte
sich vergebens ab. Hier stand der Rath nicht hinter ihm, und der
tolerante humane Sinn Jacob Sturms wird den Zwang gegen
andere eben so wenig gewollt haben, als er ihn selber dulden mochte.
Straßburg bewahrte lange Zeit den Ruhm, die Zufluchtsstätte
unschuldig Verfolgter zu sein. Ein Zeitgenosse sagte: diese Groß-
muth gereiche der Stadt zu größerer Ehre, als der hohe Münster-
thurm und die Thaten des Burgunderkrieges. Aus Elsaß, Baden,
Würtemberg, Frankreich strömten die Religionsflüchtigen in Straß-
burg zusammen und fanden freundliche Aufnahme. Aber auch
Hungersnoth und Krieg trieb die Leute aus der Umgegend in die
gastfreie, mildthätige Stadt, welche für Humanitätsanstalten von
jeher die größten Opfer brachte. Jetzt war eine vernünftige Armen-
pflege eingeführt, der Straßenbettel abgeschafft und ein städtischer
Gasthof „der Elenden Herberge“ errichtet, worin einmal im Laufe
Eines Jahres bei 24,000 Fremdlinge gepflegt und gespeist wor-
den sind.
Sollte man nun grausamer verfahren gegen die zum Theil sehr
unschuldigen Schwärmer, welche unter dem Namen der Wieder-
täufer in den zwanziger Jahren ihr Wesen zu treiben anfingen?
Das ganze Mittelalter hindurch sind die Ketzer in Straßburg
geduldet worden (olen S. 73). Und wenn auch Ketzerprozesse,
sogar Verbrennungen vorkamen — wie zu Anfang des fünfzehnten
Jahrhunderts gegen die sogenannten Winkler, um die Mitte des
fünfzehnten Jahrhunderts gegen Friedrich Reiser, der die weltliche
Macht des Papstes bekämpfte und 1458 den Feuertod erlitt — so
ging der Rath doch stets nur ungern auf das Drängen der ver-
folgungssüchtigen Dominicaner ein und suchte nach Mäöglichkeit Milde
und Schonung walten zu lassen.
Die Brüder des freien Geistes (S. 74) hat noch Sebastian
Brant gekannt: und mit jenen alten Serten standen die Wieder-
täufer einigermaßen im Zusammenhang. Männer wie Hans Denk