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der alemannischen. Und solche Verhältnisse verrücken sich selten: unsere
Angabe gilt für das neunte Jahrhundert, wie für das dreizehnte,
für das sechszehnte wie für das neunzehnte. In der großen Peesie
der Stauferzeit gab es eine hochdeutsche Gemeinsprache, in Gott-
frieds von Straßburg unsterblichem Epos durfte die Mundart nur
leise anklingen. Aber schon die zweite Hälfte des dreizehnten Jahr-
hunderts löste die Bande einer gemeinsamen Cultur, die Stadt-
chronisten des folgenden Säculums, die Friedrich Closener und
Königshofen, bedienten sich ungescheut des ihnen geläufigen Straß-
burger Jargons, der auch bei Sebastian Brant noch ohne Milderung
erklang. Aber bald darnach und vollends mit der Refermation, mit
der Ausbreitung von Luthers Bibelübersetzung schleifen sich die localen
Eigenthümlichkeiten wieder mehr und mehr, wenn auch langsam und
selbst bei Fischart noch nicht gänzlich ab. Bei Moscherosch ist der
Prozeß im Allgemeinen fertig und der Dialekt verschwindet aus der
Litteratur. Aber die classische Epoche, welche die Einheit der Cultur
am entschiedensten vollzog, hat doch zugleich decentralisirt und das
eigenthümliche Leben der Mundarten emancipirt. Sie waren meist
keine Schönheiten, diese ländlichen Musen, welche plötzlich in den
Salons auftreten sollten. Und auch das echte „Stroßburjerisch“ mit
seinen tiefen oo für aa (Haar ist Hoor, Schlafmütze ist Schloof-
kapp, Abend heißt Owe), mit seinen vielen aaue für agen (klagen
wird zu klaaue, Kragen lautet Kräaue, der Schwartenmagen ist ein
Schwaardemaaue), mit seinen seltsamen Conjunctiven (statt ich schriebe,
hieße, verriethe — sagt man: schriebdidi, hießdidi, verrodidi) macht
keine Ausnahme von der Regel. Aber was an äußerer Schönheit
fehlte, konnten häusliche Tugenden ersetzen, das reiche Gemüth, die
Anmuth und Unschuld der Empfindung, der schmeichelnde Ton der
Vertraulichkeit und alle die verbörgenen Reize, die jeter an den hei-
matlichen Lauten besser fühlt als er sie schildern kann.
Die Krone der mundamlichen Poesie im Elsaß ist Arnolds
Pfingstmontag (1816), ein Lustspiel, das bekanntlich Goethe
seines höchsten Lobes würdig hielt.