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mittelalterlicher Festungsgürtel. Die französische Regierung hat das
industriereiche Paris zu der gewaltigsten Festung von Europa ge-
macht, aber das alte Straßburg hat sie unverändert gelassen, und
so in doppelter Hinsicht an der Capitale des Elsah gesündigt. Denn
sie hat ihrer Grenzfestung weder die militärische Sicherheit der mo-
dernen Kriegskunst, noch auch der alten Gewerbsstadt die Möglich-
keit industrieller Entwickelung gegeben.
In einigen wichtigen Zweigen der Industrie ist Straßburg in
unserm Jahrhundert gänzlich zurückgegangen, während es vor der
Revolution darin Frankreich voraus war, ja dem französischen Kunst-
gewerbe mancherlei Wege zeigen kennte. Auf dem Gebiete der Fa-
vence- und Yotzellan-Manufactur hatte Straßburg schon in früheren
Zeiten einen guten Ruf. Im Jahre 1709 etablirte sich ein gewisser
Hannong aus Mastrich in Straßburg und associirte sich nachher
mit Johann Heinrich Wackenfeld, einem Fayencier, dem es
gelungen war, einige Geheimnisse der Meißener Porzellanfabrikation
zu erfahren und in Straßburg nutzbar zu machen. Noch bis in die
Zeit des Kaiserreichs erhielt sich hier dieser Zweig der Industrie lebendig,
und hatte auf die Entstehung und Entwickelung der Fabriken von
Sewres bedeutenden Einfluß genommen. In unserer Zeit aber ist unter
anderen auch diese Straßburger Eigenthümlichkeit in der alles ver-
schlingenden Centralisation Frankreichs untergegangen. Die kunstreichen
Gewerbe der altdeutschen Reichsstadt wird man heute dort vergeblich
aufsuchen. Der inkustrielle Stolz und Reichthum des elsässischen Landes
liegt heute in der Baumwollenmanufactur, und hat, wie dieser Fa-
bricationszweig überall zu thun pflegt, auch hier eine gewisse Art von
Baumwollenpolitik hervorgetrieben, die gewis niemand unterschätzt,
die aber manche Erscheinungen unserer Tage erklärlich macht. Vor
allem kann man darnach begreiflich finden, daß Sorge und düstere
Anschauungen bei der Verrückung der staatlichen Grenzen im Elsaß
in erschreckendem Maße und in einem Deutschland feindlichen Sinne
erwacht find und sich wol heute auch noch nicht völlig beruhigt
haben.