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erwarteten, waren Mahregeln zur Beseitigung der Judenschulden,
ein Schuldentilgungsgesetz überhaupt. Daß man dazu nicht ge-
langte, daran war eben der Umstand schuld, daß die Juden durch
ihre dreifache Abhängigkeit auch dreifach geschützt waren und eben.
deshalb vom Stadtrath gar nicht gezwungen werden konnten, auf
einen Vergleich mit ihren Gläubigern einzugehen, wie der weise
Solon einst seinen Bürgern einen solchen zuzuwenden wußte. Es
wird von Bischof Berthold von Bucheck erzählt, daß er mehr als
einmal die Juden geschützt habe gegen Vergewaltigung, freilich hat
er wol schwerlich geahnt, welche Consequenzen dieser Schutz haben
würde und welches Gräßliche vielleicht zu vermeiden gewesen wäre,
wenn er mit dem Schutz auch auf den Gewinn verzichtet hätte,
den er doch am meisten mit habsüchtiger Hand aus dem Juden-
wucher einstrich.
Wie oft hat man erzählt, daß der Judenhaß entstanden sei
aus dem Aberglauben an vergiftete Brunnen, aus dem Vorwurf,
daß die Juden zu Ostern Kinder geschlachtet hätten und dergleichen
mehr. Unter den Straßburger Geschichtschreibern muß man einen,
der uns die Ereignisse erzählt hat, vielleicht deshalb am meisten be-
wundern, weil er mit seltener Wahrheitsliebe die wirklichen Motive der
Dinge enthüllte. Ist es vielleicht auch auf den ersten Blick noch-
grauenvoller zu erfahren, daß viele tausend Menschen in allen Städten
des Rheins und Elsaß in den Jahren 1346—1348 getödtet worden
sind, weil man sich der Verpflichtungen gegen sie entledigen wollte,
so ist es doch andererseits für das Gewissen der Menschheit beru-
higend, zu sehn, daß diese gewaltsame Revolution erst vor sich ging,
nachdem viele Mittel erschöpft waren, um arbeitsame Menschen aus
dem qualvollen Zustand des materiellen Elends auf gesetzliche Weise
zu befreien. '
Die Prozesse wegen der von den Juden vergifteten Brunnen
waren wie eine moralische Seuche längst überall im Gang, als man
auch in Straßburg anfing von dem Stadtrath Untersuchung und
Gericht gegen die Juden zu ferdern. Der Stadtrath weigerte sich,