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in Köln, ein anderes in Wien von der Inquisition aufgegriffen
und verbrannt. Das Haupt der Gesellschaft aber soll weit über
hundert Jahre alt geworden sein und starb in seiner Bergein-
samkeit ohne irgendwelche sichtbare Spuren seiner Wirksamkeit zu
binterlassen.
Er war aber ein Mann von seltener Gewalt der Persönlichkeit.
Er genoß ein Anseben wie ein Patriarch. Bei wichtigen Gelegen-
heiten ließ er Sendschreiben ausgehen wie ein Apostel. Seine
geistige Macht äußerte sich vor allem in dem ganz erstaunlichen
Einfluß, den er bei unmittelbarem Contact auf die Menschen zu üben
wußte. Bald diesen, bald jenen mitten im Weltleben Versunkenen,
verstand er zu einem goattseligen Leben heranzuziehen und in eine Art
Abhängigkeit von sich zu bringen, wodurch sie formell seine un-
bedingte Ueberlegenheit anerkannten. Sie mußten sich — wie er es
nannte — ihm an Gottes Statt im Grunde ihrer Seele über-
lassen. Durch diese eigenthümliche Gestalt, die er dem mostischen
Verzicht auf eigenen Willen gab, hielt er seinen Bund zusammen.
So hatte sich ihm z. B. der berühmte Prediger, Bruder Taurer,
Dominicanerordens; so desgleichen der Straßlurger Bankier Rul-
man Merswin ergeben.
Johannes Tauler, ein Schüler Meister Eckards, in Straß ·
burg um 1300 geboren, hat in dieser Stadt den größten Theil
seines Lebens gewirkt und ist daselbst 1361 nach langem, schmerz-
lichem Leiden gestorben.
Tauler hat bei der Nachwelt den Ruhm seines größeren Lehrers
verdunkelt, ja fast absorbirt. Seine Predigten und Schriften waren
weit verbreitet und wurden nachmals oft gedruckt. Man nannte
ihn den hohen, den erleuchteten, begnadeten Lehrer; Luther, Melanch-
thon, Bossuet hielten viel auf ihn; der Begründer des Pietismus,
sein Landsmann Spener, wollte seine vollständige Uebereinstimmung
mit den Grundsätzen der Reformation nachweisen. Gleichwol steht
Tauler mit allen wesentlichen Gedanken seiner Lehre auf den
Schultern Meister Eckards. Nur allerdings, er ist nicht so abstract,