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er ist nicht so speculativ gestimmt: er ist populärer, anschaulicher,
eindringlicher, seine Sprache „ gleicht einer Wiese voll frischer duftiger
Blumen, reich an inneren Anschauungen und vielfachen Beispielen
aus dem täglichen Leben, voll freundlicher, lieblicher, inniger, tiefer
Worte“, manchmal voll poetischen Schwunges. Kurz er ist nicht
vorwiegend Denker, sondern vorwiegend Prediger und daher mehr
auf das praktische Leben gerichtet. Er ist weit entfernt — wie es
in der Richtung einer consequenten Mystik läge — ein blos be-
schauliches Leben als sein Ideal hinzustellen. „Werke der Liebe,
sagt er, sind Gott wohlgefälliger, als große Beschaulichkeit. Bist
du in innerer Andacht begriffen und Gott will, du sollst hinaus-
gehen und predigen, oder einem Kranken dienen, so sollst du es
mit Freuden thun, denn Gott wird dir da gegenwärtiger sein, als
wenn du in dich selbst gekehrt bleibst.“ Er wies seine Zuhörer
auf die werkthätige Menschenliebe und übte sie selbst. Er war ein
süßer, sanftmüthiger, gutherziger Mann. Eine befreundete Nonne
erklärte ihn für den liebsten Menschen, den Gott auf dem Erdreich
habe, in dem der Geist Gottes wohne wie ein süßes Saitenspiel.
Er war eine edle aber weiche Natur, dem die Kraft erst von außen
gegeben werden mußte. Das that der geheimnisvolle Gottesfreund
im Oberland.
Um das Jahr 1350 tritt der nur dreiunddreißigjährige unge-
lehrte Laie an den fünfzigjährigen Tauler, den gelehrten Priester,
den angesehenen Prediger heran und weih ihm bald zu imponiren.
Er überzeugt ihn, daß er noch in der Nacht der Unwissenheit wandle.
Er legt ihm allerlei geistliche Uebungen und körperliche Entbehrungen
auf. Er läßt ihn nicht studiren und nicht predigen. Seine Beicht-
kinder muß er sich selbst verscheuchen und bei seinen Ordensbrüdern
sich herabsetzen. Endlich nach zwei Jahren, arm und krank, ver-
lassen und verachtet, leiblich aufs äußerste geschwächt, dabei aber
immer demüthig und gottergeben wie er ist, hat er eine Vision.
Nun erlaubt ihm der strenge Freund das Predigen wieder. Aber
das erstemal, wie er auf der Kanzel steht und das zahlreiche, neu-