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Leben des großen Ganzen. Ein plötzliches Glück, ein Uebermaaß von
unerwarteter Erfüllung lange vergeblich erstrebter Wünsche verwirrt nicht
selten den sonst klaren Sinn des Einzelnen, und er mißbraucht sein
Glück, so war es auch mit dem Volke. Der Ehrgeiz erhob sich, um
zu glänzen, der Haß, um das Bestehende und den Frieden zu vernich-
ten, weil er nur im Unfrieden sein Heil findet. Doch noch fehlte De-
nen, die auf Umsturz des Bestehenden und auf ihre eigene Erhebung
sinnen, die im Stillen ein böses Spiel mischten, der Anlaß, ihre Pläne
an das Licht des Tages treten zu lassen, denn König Friedrich Au-
gust lI. hatte ja den Wünschen des Volkes Rechnung getragen und
dasselbe Volk, welches sie zur Unterstützung ihrer geheimen Pläne her-
anbildeten, hatte Ihm Beifall gejauchzt.
Das Jahr 1849 sollte diese Pläne zum Ziele führen und der An-
laß fand sich. Als Omen dessen, was da kommen würde, konnte der
Rücktritt des Ministerium Braun gelten, dem man fast ein Jahr frü-
her in heller Lust entgegen gejubelt, indem man es damals als „volks-
thümlich im vollen Sinne des Wortes“ erkannt hatte. Die Parteien,
welche diesem Ministerium sich gegenüber bestellt, hatten einen Schild
hervorgesucht, welcher recht prablend in des Volkes Augen blitzte, er
hieß: „Das in's Leben führen der deutschen Grundrechte.“
Das vom König hinsichtlich der Publikation derselben an die Kam-
mern erlassene Dekret enthielt keine Weigerung die in Frankfurt von
der deutschen Nationalversammlung beschlossene Grundrechte anzuerken-
nen, nur daß deren Verwirklichung in Sachsen erst dann geschehen
könne, wenn von den Staaten, welche als große Nachbarländer Sach-
sen umgeben, sie gleichfalls angenommen worden wären. Diese Bestim-
mung war, betrachtet man das zwischen Preußen und Oestreich gleich-
sam eingekeilte Sachsenland, ganz und gar nicht aus der Luft gegriffen,
sondern eine Wahrheit. Indeß das war nur ein Vorspiel zu dem gro-
ßen Trauerspiele, welches im Mai die Blüthen von dem Hoffnungs-
baume des sächsischen Volkes mit brudermörderischer Hand abstreifen sollte.
Eine gewisse Partei, an deren Spitze der Bautzener Advokat Tschir-
ner stand (welcher in neuerer Zeit wegen Fälschungen aus seinem Asyl
in der Schweiz entflohen ist) wühlte im Stillen fort, vergiftete die Ge-
müther der niedern Volksschichten und trieb durch ihr Gebahren die
sich von Tag zu Tage feindlicher gestaltender Zustände auf die Spitze.
Die Anerkennung der Reichsverfassung, welche man vom Könige ver-
langte, mußte die Maske zu der letzten Kartenmischung geben. Tschir-
ner selbst hatte kurze Zeit vorher die Reichsverfassung bespöttelt und