Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

92 Die Winterschlacht in Masuren Februar / März 1915 
  
  
feindlichen Kräfte sofort nach erfolgter Ausladung einzusetzen. Die Er— 
fahrungen von Tannenberg und der Schlacht an den Masurischen Seen 
hatten gezeigt, daß nur dann ein großer und schneller Schlachterfolg zu 
erringen sei, wenn der Feind von zwei Seiten gefaßt wurde. Hier bot sich 
die Möglichkeit, mit einer starken Gruppe von drei Armeekorps, die zwi- 
schen dem Njemen und der Straße Insterburg—Gumbinnen zu versammeln 
war, in der Stoßrichtung Tilsit—Wladislawow—Kalwarija zu umfassen, 
eine andere, XXX X. R. K., zu dem noch die 2. Inf. Div. und die 4. Kav. 
Div. traten, zwischen Spirding-See und Grenze über Bialla auf Raigrod 
und weiterhin auf Augustow und südlich vorzuführen. Gleichzeitig war 
der Feind frontal durch Angriff zu fesseln. 
Auf beiden Flügeln war der Gegner schwach. Wir durften hoffen, stark 
Gelände zu gewinnen, bevor sich die feindlichen Hauptkräfte aus der an- 
gegriffenen Front loslösen konnten. Beide Stoßgruppen sollten den Feind 
umklammern; je früher dies geschah, desto besser war es. 
War die Vernichtung des Gegners gelungen, so konnte in Frage 
kommen, unter dauernder Sicherung gegen Kowno—Grodno über die Linie 
Ossowjetz—Grodno anzugreifen und den Bobr-Übergang bei Ossowjetz von 
rückwärts zu öffnen. Voraussetzung war, daß die lange Flanke MWlozla- 
wek—Mlawa—Johannisburg—0Ossow#jetz feststand. 
Günstiger mußte es sein, wenn gleichzeitig mit dem Schlage an der 
Ostgrenze Ostpreußens aus der Linie Wlozlawek—Johannisburg Gelände 
gegen den Narew gewonnen und Ossowjetz angegriffen wurde. Dies strebte 
ich an. Wir waren in diesem Falle den Russen gegenüber überall in der Vor- 
hand. Ob wir späterhin zu einer Operation in den Rücken der westlich der 
Weichsel stehenden russischen Hauptkräfte kamen, mußte dahingestellt bleiben. 
Der Führer soll sich mit solchen Gedankengängen beschäftigen. Er 
darf nicht von der Hand in den Mund leben, sonst leiden die Kriegführung 
und die Truppe. Die eiserne Wirklichkeit sorgt dafür, daß die Absichten 
nicht weiter zur Tat werden, als die Kraft der Truppe im überwinden des 
feindlichen Widerstandes reicht. 
Die Maßnahmen, die ich in diesen Gedankenverbindungen vertrat, 
durchschlugen wirkungsvoll die bekanntgewordenen feindlichen Absichten. Die 
Entente wollte 1915 noch durch Rußland den Krieg gewinnen. Während 
der Großfürst mit ganzer Kraft in den Karpathen anzugreifen beabsichtigte, 
sollten nach seinem sogenannten „gigantischen Plan“ starke russische Kräfte 
zwischen dem Njemen und der Chaussee Gumbinnen—Insterburg gegen 
den nur schwachen nördlichen Flügel der 8. Armee eingesetzt werden, ihn 
eindrücken, die Armee umfassen und gegen die Weichsel werfen. Andere 
Truppen, namentlich starke Kavalleriemassen, hatten zwischen Mlawa und 
der Weichsel unsere dort stehenden schwachen Truppen zu schlagen und in
	        
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