Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

118 Der Sommerfeldzug gegen Rußland 1915 
  
  
  
  
in die Sümpfe neben der Straße gejagt, wenn sie die Wege sperrte. Viele 
Szenen der russischen Kriegführung prägten sich dem Gedächtnis ein. 
Die Nachschubverhältnisse wurden von Tag zu Tag ungünstiger, 
namentlich bei der 12. Armee, die sich von ihren Eisenbahnendpunkten 
immer weiter entfernte. Die rückwärtigen Verbindungen besserten sich 
nach der Wegnahme von Lomsha—DOssowjetz für die 8. Armee. Eine 
Versorgung von der Seite her wurde möglich, aber trotzdem blieb 
sie schwierig. Was wir an Fahrzeugen hatten, wurde vornehmlich zur 
Munitionsnachfuhr benüutzt. Unsere erschöpfte Infanterie brauchte, wenn 
sie angreifen sollte, um so mehr artilleristische Unterstützung, je weiter 
sie nach Osten kam. Mit zunehmender Entfernung wuchs die Schwierig- 
keit, Munition vorzubringen. So verlangsamten sich die Kampfhandlungen 
und ermatteten. Ein hoher russischer Offizier sagte mir später nach dem 
Friedensschlusse mit Rußland, er habe nicht verstanden, daß wir nicht 
schärfer gedrängt hätten, die russische Armee würde sich aufgelöst haben. 
Führung und Truppen haben alles getan, um dies Ziel zu erreichen, aber 
wenn in voller Mannszucht bei bestem Willen und höchster Energie des 
einzelnen Mannes die Kräfte nachlassen, hilft auch der Führerwille nichts. 
Wir bauten eine Eisenbahnverbindung von Willenberg über Chorshele 
nach Ostrolenka und stellten auch die anderen Bahnen verhältnismäßig 
schnell her, aber die Landetappenverbindungen wurden immer länger; sie 
überschritten jene 120 km, die wir als Höchstbegrenzung angesehen hatten, 
bei weitem. Besser hatte es die Entente bei ihren großen Angriffen im 
Sommer 1918. Sie hatte zahlreiche Eisenbahnverbindungen direkt hinter 
ihrer Front und konnte ihr ungeheures Kriegsmaterial immer wieder nach 
vorn schaffen und ihre Infanterie damit wirksam unterstützen. Dieser 
konnte durch Kraftwagenkolonnen die Möglichkeit gegeben werden, sich in 
guter Unterkunft und bei guter Verpflegung zu erholen und mit frischen 
Kräften immer wieder von neuem in den Kampf zu treten. 
In Ausführung der von der Obersten Heeresleitung gegebenen Wei- 
sungen nahmen die Bewegungen ihren Fortgang. Cholm und Lublin 
fielen noch Ende Juli in unsere Hand. Weiter östlich drängten wir nicht 
scharf vor. Der Russe fand so Zeit, aus dem umfaßten Bogen heraus Trup- 
pen nach Süden abfließen zu lassen und hier eine neue Front zu bilden. 
General v. Woyrsch nahm den westlichen Brückenkopf von Iwangorod, 
überschritt nördlich davon im Angesicht des Feindes am 28. Juli die 
Weichsel und wurde hier scharf angegriffen. Ich hatte diesen Übergang 
als sehr schwierig angesehen, taktisch war er geglückt, die große strategische 
Lage aber nicht geändert. 
Gegenüber der 9. Armee ging der Russe aus der Außenstellung von 
Warschau und aus Warschau selbst Anfang August zurück.
	        
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