Kämpfe östlich des Njemen 129
Der Russe hatte sich inzwischen verstärkt. Die schwachen Kräfte der
Njemen-Armee waren auf sehr weite Räume verteilt, so daß sie aus eigener
Kraft zunächst nicht mehr weiter vorwärts konnte. Sie stand in Fühlung
mit dem linken Flügel der 10. Armee, als dieser nach der Einnahme von
Kowno halbwegs Wilna wieder auf starken Feind stieß.
Eine Unternehmung der Flotte im Rigaischen Meerbusen am 8. August
hatte auf die Operationen zu Lande keinen Einfluß.
Das schnelle Vorgehen der Njemen-Armee zeigt, daß bei größerer
Stärke und besserer Ausstattung der Armee, namentlich mit Kolonnen, noch
mehr zu erreichen war.
X.
In der zweiten Augusthälfte hatte der Gedanke an die Weiterführung
der Operation östlich des Njemen festere Gestalt angenommen. Die Flanke
des aus Polen zurückweichenden Heeres konnte, wenn überhaupt, nur noch
in der allgemeinen Stoßrichtung Kowno—Wilna—Minsk getroffen werden.
Dieser Stoß war von der 10. Armee zu führen, während die 8. und
12. Armee und die südlichen Heeresgruppen dicht am Feinde blieben.
Die Operationen der 10. Armee bedurften im Norden des Flanken-
schutzes gegen die Bahnlinie Riga—Dünaburg, in die mehrere Schienen-
wege von Nordosten und Osten her einmünden, sowie gegen die Strecken
Polotzk—Molodetschno und Orscha—Borissow—Minsk. Die Nijemen-
Armee mußte ihr Vorgehen mit dem Schwerpunkt auf Dünaburg fort-
setzen, während gegen die beiden letztgenannten Bahnen starke Reiter-
geschwader vorgingen.
Der Russe, der vor der 10. und Njemen-Armee in zusammenhängender,
aber nordöstlich Kowno nur dünn besetzter Front stand, mußte demnach
durchbrochen, d. h. über Wilna und nach Dünaburg zurückgeworfen werden,
während die Kavallerie-Divisionen auf Polotzkt—Minsk vorgingen.
Es blieb die Frage, ob bei dem sehr weit nach Osten fortgeschrittenen
Rückzug der Russen die Operation jetzt noch gewinnbringend sein konnte.
Es war kein Zweifel, daß jeder Tag, um den sie hinausgeschoben wurde, sie
weniger aussichtsreich machte. Ich erwog, ob wir uns nicht mit einem Stoß
über Olita—Orany auf Lida begnügen sollten. Ich verwarf dies, weil alle
ähnlichen Versuche, zu einer Flankierung zu kommen, in dem vergangenen
Sommerfeldzuge zu keinem Erfolge geführt hatten. Somit blieb ich in
meinen Gedanken bei der großen Operation, weil sie noch einen größeren
Erfolg haben konnte. Wir waren auch hier gezwungen, in das Ungewisse
zu handeln. Es war klar, daß die 10. Armee der Verstärkung bedurfte. Es
wurden ihr die Einschließungstruppen von Nowo Georgiewsk zugeführt.
Die 8. und 12. Armee hatten sich im Laufe der Operationen so zu-
Kriegserinnerungen 1914—18. #