148 Das Hauptquartier des Oberbefehlshabers Ost in Kowno Oktober 1915 bis Juli 1916
Arbeitsleistungen blieben für jeden einzelnen sehr hohe und erforderten die
volle Manneskraft.
Ich legte Wert darauf, daß der militärische Charakter, wie es allein
im Rahmen der Etappeninspektion möglich war, gewahrt und vornehmlich
Angehörige des Soldatenstandes ausgewählt wurden, die nicht mehr front-
verwendungsfähig waren. Ich nahm aber auch Nichtmilitärs. Es kam
mir naturgemäß darauf an, fachtechnisch ausgebildete Persönlichkeiten zu
bekommen, denn den Glauben, daß die Mehrzahl der Menschen befähigt
ist, jedes Amt zu verwalten, kann ich nicht teilen. Wie schon allein eine
gewisse Arbeitstechnik die Arbeit zum Nutzen des Ganzen erleichtert, habe
ich oft gesehen. Für die reine Verwaltung mußte ich auch Herren ohne
fachtechnische Vorbildung nehmen, hier konnten klarer Wille, allgemeines
Wissen und gesunder Menschenverstand Fehlendes ersetzen. Für Land-
wirtschaft und Forsten, Gericht, Finanzen, Kirche und Schule waren Leute
vom Fach unbedingt nötig. Bei der außerordentlichen Beanspruchung des
Menschenbestandes durch Heer und Heimat war es namentlich im Anfang
schwierig, die nötigen Männer zu erhalten; später, als die Verwaltung des
Oberbefehlshabers Ost einen gewissen Ruf bekam, wurde es leichter. Über
die sich Meldenden zogen wir bei den vorgesetzten Dienststellen der Heimat
eingehende Nachfragen ein. In ähnlicher Weise besetzten die Verwal-
tungen oder Etappen--Inspektionen die niederen Stellungen. Ich wollte
zuverlässige Menschen in dem fremden Land haben. Einheimische wurden
nur in Kurland, aber auch hier mit Zurückhaltung angestellt.
Jeder machte sich gleich mir mit Eifer an seine schwere und mühevolle
Arbeit. Wir wirkten in uns bis dahin vollständig unbekannten Ver-
hältnissen, dazu in einem durch den Krieg zerrütteten Lande, in dem
alle staatlichen und wirtschaftlichen Bande zerrissen waren. Wir sahen uns
einer fremden Bevölkerung gegenüber, die aus verschiedenen sich gegenseitig
befehdenden Stämmen zusammengesetzt war, uns sprachlich nicht verstand
und größtenteils innerlich ablehnte. Der Geist treuer und selbstloser Pflicht-
erfüllung, das Erbteil hundertjähriger preußischer Zucht und deutscher
Tradition, beseelte alle.
Ich sah allmählich bei näherer Kenntnis des Landes, daß dies und
jenes nicht durchzusetzen war, und mußte ändern. Gewiß ließ sich auch
dann noch hier und dort etwas Besseres machen oder mehr erreichen, das ist
selbstverständlich. Es war aber meine Aufgabe, in unbekannten Verhält-
nissen kurz und tatkräftig zu handeln. Auch in diesem Fall wog in den
wirtschaftlichen Fragen ein Unterlassen schwerer als ein Fehlgriff, der
immer noch berichtigt werden konnte. Erst nachdem eine Sache angefaßt
war, konnte ich Klarheit gewinnen. In politischen Fragen wäre vorsichtiger
zu verfahren gewesen; die aber verfolgte ich noch nicht.