Gerichtsbarkeit 159
1914 und namentlich jetzt erleben. Diese Ansicht wird von allen denen ver—
worfen werden, die an erste Stelle das Menschheitsideal setzen. Das ist
von ihrem Standpunkt aus begreiflich. Die Gewalt der Tatsachen aber
spricht so lange gegen sie, als nicht alle Staaten die gleichen Grundsätze be—
folgen. Wir hätten ein starkes Nationalgefühl jetzt bitter nötig!
Die Bekenntnisse wurden in ihrer Ausübung durch nichts beschränkt.
Wir gingen in dem Entgegenkommen so weit, daß wir die Ausgabe von
Weizenmehl an die Juden zur Matzen-Erbackung ermöglichten.
Die evangelische Geistlichkeit in Kurland stand ganz auf unserer Seite.
Mit der litauischen katholischen Geistlichkeit kamen wir bald auf leidlichen
Fuß. Dagegen war uns die polnisch-katholische feindlich gesinnt. In dieser
Haltung der Geistlichkeit spiegelte sich in gewisser Weise auch die Stimmung
der Bevölkerung gegen uns wider, nur daß die litauische Geistlichkeit uns im
allgemeinen wohlgesinnter war als die litauische Demokratie in Wilna,
die in ihren unklaren Bestrebungen sehr bald den Boden unter den Füßen
verlor. Die polnische Geistlichkeit war die Trägerin der nationalen polni-
schen Propaganda. Selbst unter der russischen Knute hat sie in größter
Folgerichtigkeit gehandelt. Mit den Litauern stand sie noch im Kampf, die
Weißruthenen hatte sie bereits zu Boden geworfen. Daß die Russen das
zugelassen haben, ist unverständlich. Die Weißruthenen erhielten mit russi-
scher Genehmigung Gottes Wort nicht in eigener, sondern in polnischer
Sprache! Wie in Ostgalizien die Ruthenen, so wurden hier deren Brüder
mit Hilfe der Geistlichkeit unterdrückt.
Die Polen gingen auf dem Gebiete der Schule auch sehr bald handelnd
vor, sie wollten ihre Universität in Wilna haben; ich lehnte es ab.
Während ich die Verwaltung führte, verhielten wir uns den verschiede-
nen Stämmen gegenüber im wesentlichen neutral. In der Gleichstellung der
Litauer mit den Polen lag für diese nach ihrer Ansicht etwas Polenfeind-
liches. Ich wußte wohl, daß man sich mit nur neutraler Politik niemand
zum Freunde macht.
Mit Absicht trieb ich keinerlei völkische Politik, da diese nur nach
Klärung unseres Verhältnisses zu Polen durchgeführt werden konnte. Die
Reichsregierung hatte sich aber noch nach keiner Richtung hin entschieden,
so ergab sich meine Zurückhaltung mit logischer Folge. Auch mit Rücksicht
auf die ganze Lage des Landes war das Hineinmengen politischer Fragen
in die Verwaltung verfrüht. Ich konnte mich daher auch nicht entschließen,
vom Reichskanzler irgendwelche politischen Weisungen zu erbitten, und
machte ihm nur Mitteilungen von meinen Gedanken.
Jeder Volksstamm hatte seine Zeitung, die naturgemäß unter Zensur
stand. Als deutsche nahm die „Kownoer Zeitung“ die erste Stelle ein.
Ich hatte für die Presse und Zenfur Hauptmann Bertkau als Berater.