166 Das Hauptquartier des Oberbefehlshabers Ost in Kowno Oktober 1915 bis Juli 1916
mals ohne übertreibung gesagt wurde, in „Sumpf und Blut“ erstickt. Die
Verluste der Russen waren außerordentliche gewesen. Die dünnen Linien
unserer noch gut ausgebildeten und mit Offizieren hinreichend versehenen
tapferen Truppen waren Herren über die Massentaktik des schlecht aus-
gebildeten russischen Heeres geblieben. Die Anstrengungen der beteiligten
Truppen waren bei dem tief verschlammten Boden und dem naßkalten
Wetter sehr schwer.
Die Front des Oberbefehlshabers Ost hatte ihre erste große Abwehr-
schlacht überstanden.
Für die höhere Führung verläuft diese nur scheinbar weniger
spannend als die Angriffsschlacht; tatsächlich geht sie mehr auf die
Nerven. Der höhere Führer muß sich damit begnügen, Reserven recht-
zeitig zur Stelle zu schaffen; dazu müssen allerdings erst solche da sein.
Das ist schwer zu erreichen, wenn ein Oberkommando gezwungen ist,
dauernd aus der Hand in den Mund zu leben, wie wir es mußten. Es
ist kein leichter Entschluß, Reserven zu verschieben, solange die feindliche
Angriffsrichtung nicht einwandfrei erkannt ist, und doch muß es geschehen,
sonst kommen sie zu spät. Auch ist es von der unteren Führung sehr
viel verlangt, Reserven abzugeben, solange sie noch selbst an einen Angriff
glaubt. In dem Vertrauensverhältnis, in dem Oberstleutnant Hoffmann
und ich zu den entsprechenden Stellen der Armee-Oberkommandos standen,
wurden diese ernsten Fragen ohne Reibungen zum Nutzen für die Armeen
gelöst. »
Anfang April trat Ruhe ein.
Am 28. April nahm die 10. Armee in einem vortrefflich vorbereiteten,
mit großen artilleristischen Mitteln unterstützten Angriff den in der März-
schlacht verlorenen Geländeteil zwischen dem Wischnjew= und Narotsch-See
zurück. Es war der erste Angriff im Osten, für den wir die im Westen
üblich gewordenen Artilleriekampfmittel einsetzten. Der Erfolg war gut.
Wir rechneten mit Fortdauer des russischen Großangriffs auf unsere
Front. Die Armeen wurden geordnet und Reserven ausgeschieden. Wir
erhielten auf Anordnung der Obersten Heeresleitung aus der Front der
k. u. k. Armee deutsche Divisionen. Im weiteren Laufe des Mai schienen
neue Angriffe aus dem Rigaer Brückenkopf und auch in der Gegend von
Smorgon bevorzustehen. Wir gruppierten uns entsprechend, dachten auch
an einen Angriff unfrerseits. Bei den schwachen Kräften, über die wir
verfügten, konnte dieser allerdings nur ein örtlicher, bei Riga, sein, der die
Wegnahme des so unbequemen Brückenkopfes zum Ziele hatte.
Ende Mai besuchte uns Seine Mojestät. Der Kaiser bereiste das
ganze Gebiet des Oberbefehlshabers Ost. Der Generalfeldmarschall und ich
begleiteten ihn. Wir kamen auch nach Mitau. Die deutschen Eindrücke,