172 Das Hauptquartier des Oberbefehlshabers Ost in Kowno Oktober 1915 bis Juli 1916
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ungarischen Front beginnenden Kämpfe waren zunächst mehr demon—
strativer Natur.
Es wurden gegen die Druckstellen der deutschen Front erheblich
stärkere Kräfte bereitgestellt und eingesetzt als zu Anfang gegen Lutzk und
die Bukowina. Erst die überraschend großen Erfolge über die österreichisch-
ungarischen Truppen haben den Russen veranlaßt, auf die Durchführung
des Großangriffs gegen die Front des Oberbefehlshabers OÖst zu ver-
zichten und den Schwerpunkt seines Handelns — unter Beibehalt der An-
griffsrichtung Baranowitschi — gegen österreichisch-ungarische Truppen zu
legen. Je widerstandsfähiger sich die deutsche Front erwies, desto mehr
ließ der Russe von ihr ab, desto gewaltsamer warf er sich gegen seinen
schwächeren Gegner, die k. u. k. Armee, zwischen dem Pripjet und den
Karpathen.
Dieser Kampflage entsprechend mußte die Front des Oberbefehlshabers
Ost immer mehr geschwächt werden, um die südwärts gelegenen Fronten zu
verstärken. Es trat ein inniger Zusammenhang der taktischen Handlungen
zwischen der Heeresgruppe Generalfeldmarschall Prinz Leopold von Bayern
und der des Oberbefehlshabers Ost, aber auch zwischen der deutschen und der
österreichisch-ungarischen Front ein. Die bisherige Befehlsgliederung trug
wohl dem Zustande der Ruhe, nicht aber Lagen Rechnung, die sich aus russi-
schen Angriffen entwickeln konnten. Hier war schnelles Handeln geboten.
Ein Umweg über die beiderseitigen Heeresleitungen in Charleville oder Pleß
und Teschen konnte mit Zeitverlusten verbunden sein, die nie gerechtfertigt
sind. Schon bei der großen März-Offensive war diese Befehlsgliederung
störend empfunden worden. Reibungen waren nur durch unser vortreff-
liches Zusammenarbeiten mit der Heeresgruppe Generalfeldmarschall Prinz
Leopold von Bayern und der unter ihr stehenden Armeegruppe Woyrsch
vermieden worden. Seit dieser Zeit war der Gedanke einer Vereinheit-
lichung des Oberbefehls an der Ostfront nicht mehr von der Tagesordnung
geschwunden. Es kam zunächst die Unterstellung der letztgenannten Heeres-
gruppe unter den Oberbefehlshaber Ost in Frage. Da aber etwas Ganzes
zu schaffen war, wie dies der Krieg immer verlangt, so mußte der Ober-
befehlshaber Ost den Befehl über die gesamte OÖstfront von dem Rigaischen
Meerbusen bis zu den Karpathen erhalten. Es bedurfte bitterer Lehren,
ehe dies erreicht wurde. Außerlichkeiten, die mit der Sache nichts zu tun
hatten, erschwerten die Lösung. Insonderheit war es für das k. u. k. Armee-
Oberkommando aus sogenannten Prestigegründen ein nur schwer faßbarer
Gedanke, seine taktische Befehlsgewalt über k. u. k. Truppen beschränkt zu
sehen. Bei allen Regelungen der Befehlsbefugnisse hatte dieses Ober-Kom-
mando den österreichisch-ungarischen Standpunkt, den Schein der militäri-
schen Vorherrschaft Deutschlands nicht aufkommen zu lassen, eifersüchtig ge-