182 Der erweiterte Oberbefehl an der Ostfront August 1916
In Lemberg sprach ich auch General v. Seeckt, der die Lage der
Heeresgruppe Erzherzog Karl namentlich südlich des Dnjestr sehr ernst be—
urteilte. Der Russe hatte sich scharf an die Stellung westlich Tlumatsch—
Ottynia herangeschoben und zum Teil den Karpathenkamm zwischen Ta-
taren-Paß und der Grenze Rumäniens erstiegen. Wir waren mit dem
Schicksal dieser Heeresgruppe auf Tod und Leben verbunden; die ernste
Lage dort mußte naturgemäß auch uns schwere Sorge bereiten. Gab die
Heeresgruppe südlich des Dujestr noch weiter nach, so zog sie ihren linken
Flügel und später auch den rechten der erweiterten Ostfront mit. Die Ver-
hältnisse der Heeresgruppe mußten wir, auch wenn sie uns nicht unter-
stand, dauernd mit in Rechnung einstellen. Wir halfen ihr auch aus. Zur
Zeit war auf Anordnung der Obersten Heeresleitung die 1. Inf. Div., die
schon im Winter 1915 in den Karpathen gefochten hatte, dorthin aus dem
Westen durch Ungarn im Anrollen. Ich hätte sie lieber nördlich des Gebirges
gehabt. Die Wahrscheinlichkeit, daß der Russe sich zwischen unserer Front
und der Moldau in die Karpathen zur Umfassung unseres äußersten rechten
Flügels hineinschieben würde, war doch nur gering. Die rückwä. jen Ver-
bindungen waren viel zu schlecht. Die Gefahr konnte nie groß werden. Es
blieb möglich, ihr immer noch trotz der unglaublichen Bahnverhältnisse
Ungarns rechtzeitig entgegenzutreten. Das k. u. k. Armee-Oberkommando
in Teschen fürchtete aber einen russischen Einfall in Ungarn; die Hilferufe
von dort waren stärker als militärische Gründe.
Auf der Rückfahrt nach Brest-Litowsk, wo wir uns mit unserem Zug
zunächst aufhalten wollten, sprachen wir noch die Generale v. der Marwitz
und Litzmann, die jetzt im Rahmen der Heeresgruppe Linsingen aus deut-
schen und k. u. k. Truppen gemischte Gruppen führten. Sie sahen ihre Lage,
falls der Russe weiter angriff — und damit rechneten auch sie — für recht
ernst an und begründeten dies mit Schilderungen aus den letzten Kämpfen.
General v. der Marwitz war wie General Litzmann eine prächtige Sol-
datennatur und ein unerschrockener Führer, dem das Wohl und die Aus-
bildung der Truppe besonders am Herzen lag.
Überall hatten wir das gleiche Lied gehört: die Krise im Osten bestand
noch in voller Schärfe. ·
Ich hatte mir die Aufgaben gestellt: Festigung der Front und
Ausbildung der k. u. k. Armee. Wie weit ich hierin erfolgreich sein würde,
blieb zweifelhaft.
II.
Unser Hauptquartier im Zuge auf dem Bahnhofe von Brest-Litowsk
bot nichts Glänzendes. Wir waren ungemein dürftig untergebracht. Es
fehlte für die Arbeit an Raum. Die großen Karten allein sind in