Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

Dienstpflicht und Arbeitspflicht 259 
—. 
leitung hat es nicht vermocht, den Begriff den Kriegsbedürfnissen anzu- 
passen und die schlechte Wirkung dieses Ausdrucks zu beseitigen. Eine Ver- 
fügung des Kriegsministers, die im Herbst 1918 erlassen wurde, konnte 
nicht mehr wirken. Er hatte indes schon frühzeitig die Bedingungen für 
die Kriegsverwendungsfähigkeit nochmals einer Nachprüfung unterzogen. 
Es entstand hinter dem „ganisonverwendungsfähig für Feld oder Heimat" 
noch ein „arbeitsverwendungsfähig“. 
Das Nachmustern und die Kontrolle in der Heimat schienen mir nicht 
einwandfrei. Immer wieder kamen Klagen über Drückebergerei unglaub- 
lichster Art. Ich schlug dem Kriegsministerium das schärfste Zufassen vor; 
das erforderte die Gerechtigkeit. Das Gefühl, daß hier alles so würde, wie 
ich es für die Stimmung im Heere und in der Heimat erhoffte, vermochte 
ich indessen nie zu gewinnen. 
Nach dem Gesetze blieben Kräfte übrig, die dem Staate nicht dienten. 
Dieser Verpflichtung unterlagen bisher nur Männer zwischen dem 17. und 
45. Lebensjahr. Vor dem eisernen Gebot des Krieges erachtete ich diese 
Einschränkung nicht mehr für angebracht. 
Schon im September 1916 gelangten die ersten Anträge der Obersten 
Heeresleitung zum restlosen Aufbringen der menschlichen Kräfte an den 
Reichskanzler. Sie ging dabei immer bestimmter von der Ansicht aus, daß 
die Kraft jedes einzelnen im Kriege dem Staate gehöre, daß daher jeder 
Deutsche vom 15. bis 60. Lebensjahre dienstpflichtig wäre, und daß diese 
Dienstpflicht, wenn auch mit Einschränkungen, auf die Frau auszudehnen 
sei. Einer solchen Dienstpflicht konnte durch Wehrpflicht im Heere oder 
durch Arbeitspflicht — in weitestem Sinne — in der Heimat entsprochen 
werden; sie erstreckte sich keineswegs nur auf die Arbeitnehmer in der 
üblichen Auffassung des Wortes, wennschon sie diese am meisten traf. 
Die Einführung der Arbeitspflicht für den Krieg als Dienstpflicht hatte 
die große sittliche Bedeutung, jeden Deutschen in dieser ernsten Zeit in den 
Dienst des Vaterlandes zu stellen, wie es der uralten germanischen Rechts- 
auffassung entsprach. Sie hätte auch den großen praktischen Vorteil im 
Gefolge gehabt, daß das Reich die Löhnungsverhältnisse der Arbeiter in die 
Hand bekam. Es war eine der schreiendsten Ungerechtigkeiten dieses Krieges. 
und mußte von dem Soldaten auch so empfunden werden, daß er, der sein 
Leben täglich in die Schanze schlagen mußte, viel schlechter stand als irgend- 
ein Arbeiter, der in gesicherten Verhältnissen leben konnte. Während dieser 
für sich, Frau und Kinder verdiente, mußte er mit Sorge an seine Zukunft 
und seine Familie denken. Die Unterstützungen des Staates glichen das in 
keiner Weise aus. Der Drang aus dem Heere in die Heimat, der schon in 
dem Gefühle der persönlichen Sicherheit seine Erklärung findet, besaß in 
dem Familiengefühl eine ideale Grundlage. Umgekehrt hielt es manchen 
17“
	        
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