Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

Die Verpflegungsfrage 277 
  
soweit sie dies vermochten; Schleichhandel und Hamstern griffen um sich. 
Bald war auf diesem abschüssigen Gebiet kein Halten mehr. 
Besitzende verschafften sich alles Nötige und noch darüber hinaus. 
Mochte ihr Verbrauch für die Volksernährung in ihrer Gesamtheit zunächst 
ohne Bedeutung sein, die Tatsache mußte verbittern. 
Die breite Masse, namentlich der Mittelstand, hierbei die festbesoldeten 
Beamten und Offiziere, hatten schwer zu tragen. Ein kleiner Teil erlag in 
der Not der Zeit wohl der Versuchung und half sich, der größere aber 
wurde buchstäblich ausgehungert. Dies kam zu allem Schweren, was der 
Mittelstand trug, noch hinzu. Und doch hat dieser Stand, der in jeder 
Hinsicht mit Füßen getreten wurde, allerdings leider nur schweigend, seine 
Pflicht getan — bis zuletzt. 
Für den Arbeiter wurde gesorgt. Er paßte seine Lohnforderungen, 
die auch durch Streiks erzwungen wurden, dem Schleichhandel an. Gewiß 
hatte auch ein erheblicher Teil der Arbeiter es schwer. Sie haben aber doch 
im Gegensatz zum Mittelstand im allgemeinen zu leben gehabt. 
Die Frage des Schleichhandels wurde von größter innerpolitischer Be- 
deutung. Diese wuchs mit der Dauer des Krieges, je mehr in der Heimat 
das Denken an den Krieg verloren ging, je mehr die natürlichen Instinkte, 
die nun kein Gegengewicht fanden, sich immer schärfer hervordrängten. 
Schleichhandel und Hamsterei nahmen dauernd abstoßendere Formen an 
und wirkten in Ursache und Folge auf unser Denken immer zerstörender. 
Unser System der ausgesprochenen Zwangswirtschaft in Verbindung mit 
Höchstpreisen hatte versagt. Die Produktion wurde nicht gesteigert, der 
Ertrag ging immer mehr und mehr zurück, bedingt durch äußere Einflüsse, 
wie Mangel an männlichen Arbeitskräften, Düngemitteln, Ungunst der 
Witterung. Die vielfachen Anträge der Obersten Heeresleitung an den 
Reichskanzler, den Schleichhandel in Verbindung mit übertriebenen 
Unternehmergewinnen und Arbeitslöhnen zu treffen, wie es die Erhaltung 
unserer Kriegsfähigkeit verlangte, hatten kein Ergebnis. 
Es ist wie ein Narrenspiel: Hat die Furcht vor zu hohen land- 
wirtschaftlichen Höchstpreisen tatsächlich zur Verteuerung der ganzen 
Lebenshaltung geführt und zur Vertiefung der Kluft zwischen Stadt und 
Land sehr wesentlich beigetragen? Die unzufriedenen Elemente verstanden 
es, aus allem Kapital für sich zu schlagen. Die feindliche Hunger- 
blockade triumphierte, sie brachte uns nicht nur leibliche, sondern auch 
seelische Not. 
Meine private Ansicht über das Zwangswirtschaftssystem in der 
Heimat ging dahin, daß es je eher desto besser, in einigen Verpflegungs- 
artikeln sogar sofort, aufzuheben sei und dem freien Handel Platz zu machen 
habe. Daneben schien mir eine stärkere Heranziehung von Genossenschafts-
	        
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