320 Der Entente-Angriff im ersten Halbjahr 1917
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Auf Verdun wurde zuweilen in Nachrichten hingewiesen. Hier war
der Franzose jederzeit in der Lage, anzugreifen. Schließlich wurde
noch von einer Verlängerung des englischen Angriffs nach Norden ge-
sprochen, es blieb somit keine Stelle unserer Front übrig, auf der wir uns
nicht auf nachhaltige Verteidigung einrichten mußten; die Lage war unklar.
Daß an der Isonzofront die Kämpfe weitergehen würden, war nicht
zu bezweifeln; Triest blieb das Ziel Italiens. In Mazedonien und am
Vardar waren Angriffe mehr als wahrscheinlich, in der Türkei — sowohl
in Palästina wie auf Bagdad — mit Sicherheit zu erwarten.
Im Osten rechnete ich vornehmlich mit einem Angriff auf den Südteil
der Front, auf k. u. k. Truppen. Ein plötzlicher russischer Vorstoß in
Richtung Mitau Ende Januar hatte den Oberbefehlshaber Ost und auch uns
aufgeschreckt, es gelang noch gerade, ihn mit eilig zusammengezogenen
Reserven aufzufangen.
Wann der große Ansturm einsetzen würde, war noch nicht zu übersehen.
Im Osten war er vor dem April kaum zu erwarten; die große russische
Frühjahrsoffensive 1916 hatte im März begonnen und war durch Witte-
rung und Bodenverhältnisse stark beeinträchtigt gewesen. Eine so frühe
Wiederholung war wenig wahrscheinlich. Es blieb möglich, daß auch die
Entente im Westen so lange mit dem Angriff zögern würde. Die Lage an
der Somme war aber so gespannt, daß wir auf einen früheren Anfang ge-
faßt sein mußten.
Die Gesamtlage erforderte für uns Hinausschieben des Kampfes im
Westen, soweit dies möglich war, um den U-Booten Zeit zur entscheiden-
den Wirkung zu lassen. Auch taktische Gründe und noch nicht genügende
Munitionsmengen sprachen hierfür.
Gleichzeitig mußten wir durch Kürzung der Front zu einer günstigeren
Kräftegruppierung kommen und uns mehr Reserven schaffen. Wir standen
in Belgien und Frankreich mit 154 gegen etwa 190 zum Teil sehr erheblich
stärkere Divisionen, für unsere lange Front ein besonders ungünstiges
Kräfteverhältnis. Es war zudem anzustreben, Frontteile möglichst lange
feindlichen Großangriffen zu entziehen, indem der Gegner verhindert
wurde, mit starken Kräften davor aufzutreten. Wir gewannen damit zu-
gleich Stellungen, in denen schwächere und im Verlaufe der Schlacht ab-
gekämpfte Divisionen eingesetzt werden konnten.
Aus diesen Erwägungen heraus entstand — in engstem Zusammen-
hang mit dem Beginn des U-Bootkrieges — der Entschluß, aus dem nach
Frankreich vorspringenden Bogen unserer Front in die Siegfriedstellung,
die Anfang März verteidigungsfähig sein sollte, zurückzugehen und die in
einem 15 km breiten Streifen vor der neuen Stellung vorbereiteten Zer-
störungen planmäßig durchzuführen.