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und links. So kamen wir langsam vorwärts. Ich mußte oft die Mann-
schaften, die nur zögernd vorgingen, ermahnen, mich nicht allein gehen zu
lassen. Endlich lag das Dorf hinter uns. Die Bevölkerung war übrigens ge-
flüchtet. Es handelte sich hier um Kämpfe gegen die reguläre belgische Armee.
Beim Heraustreten aus dem Dorf erkannten wir nach der Maas zu
eine in Richtung Lüttich marschierende Kolonne. Ich hoffte, es wäre die-
27. Inf. Brig. Es waren aber Belgier, die über die Maas kopflos ab-
zogen, statt uns anzugreifen. Lange Zeit dauerte es, bis die Lage fest-
gestellt war. Inzwischen verstärkten sich die bei mir befindlichen Kräfte
durch das Eintreffen zurückgebliebener Soldaten. Der Durchbruch durch
die Fortlinie war gelungen. Das Infanterie-Regiment 165 unter seinem
hervorragenden Kommandeur, dem damaligen Oberst v. Oven, rückte ge-
schlossen heran. General v. Emmich traf ein. Der Vormarsch auf die
Chartreuse wurde fortgesetzt.
General v. Emmich stellte mir noch Teile der weiter südlich an-
gesetzten 11. Inf. Brig. zur Verfügung in der Annahme, daß auch sie durch-
gebrochen sei. Der Weitermarsch fand ohne Zwischenfälle statt. Im An-
gesicht der Werke an der Nordfront Lüttichs erstiegen wir aus dem Maastal
die Höhen östlich der Chartreuse. Als die Brigade dort eintraf, war es
etwa 2 Uhr geworden. Die Geschütze wurden gegen die Stadt gerichtet.
Ab und zu wurde ein Schuß abgegeben, teils als Signalschuß für die
anderen Brigaden, teils um den Kommandanten und die Stadt willfährig
zu machen. Ich mußte sorgfältig mit der Munition haushalten, sie war
sehr knapp geworden. Die Truppe war erschöpft und durch den zersetzen-
den Kampf teilweise stark mitgenommen. Die Offiziere hatten ihre Pferde
verloren. Die Feldküchen waren zurückgeblieben. Ich ließ die Brigade
rasten und verpflegte sie, so gut es ging, durch Beitreibungen aus den um-
liegenden Häusern.
Bald erreichte General v. Emmich wieder die Brigade. Von den
Höhen östlich der Chartreuse hatten wir einen schönen üÜberblick über die
Stadt. Sie lag zu unseren Füßen. Aus ihr heraus, auf dem jenseitigen
Ufer der Maas, erhob sich die Zitadelle. Dort wurden plötzlich weiße
Fahnen gesetzt. General v. Emmich wollte einen Parlamentär hinsenden.
Ich schlug vor, den feindlichen zu erwarten. Der General blieb bei seinem
Entschluß. Hauptmann v. Harbou ritt in die Stadt. Um 7 Uhr abends
kam er wieder: die weiße Flagge wäre gegen den Willen des Komman-
danten gezeigt. Zum Einmarsch in Lüttich war es zu spät geworden.
Eine schwere Nacht stand bevor.
Inzwischen hatte ich die Brigade sich einrichten lassen. Unsere Lage
war ungemein ernst. Von den anderen Brigaden kam keine Nachricht,
auch von der 11. nicht. Meldereiter waren nicht durchgekommen. Es