352 Der Entente-Angriff im ersten Halbjahr 1917
Graf Czernin konnte mir auf meine Frage, ob die Entente sich denn
wirklich mit der Abgabe Elsaß-Lothringens bescheiden würde, keine be-
stimmte Antwort geben.
Auffallend ernst äußerte sich Graf Czernin über die inneren Verhält-
nisse Deutschlands. Er muß sehr gute Berichterstatter gehabt haben. Da-
mit war unsere Unterhaltung beendet.
Von dem Ausscheiden Galiziens aus dem österreichischen Staats-
verbande sprach Graf Czernin nicht wieder. Er verfolgte noch eine Zeit-
lang den Gedanken, daß Rumänien in die Einflußsphäre Österreich-Un-
garns, der Osten einschließlich Polens in die Deutschlands falle. Das waren
großzügige und klare Gedanken, denen sich die Oberste Heeresleitung nur
anschließen konnte. Sie wurden in den Kreuznacher Abmachungen vom
17./18. Mai niedergelegt.
Bald darauf vertrat aber Graf Czernin mit großem Eifer und Geschick
die austro-polnische Lösung und gab damit SÖsterreich-Ungarns wahres
Gesicht frei. Der Verzicht Österreich-Ungarns auf Polen würde in der
Monarchie einen niederschmetternden Eindruck machen. Es handle sich auch
um das Prestige des jungen Kaisers. Es war die klare Absicht des Grafen
Czernin, uns sowohl in Polen wie in Rumänien an die Wand zu drücken.
Die austro-polnische Lösung brachte schwere Gefahren für Preußen-
Deutschland mit sich. Der Generalfeldmarschall und ich befürchteten, daß
sie den Zerfall des Bündnisses bedeute und unsere Ostprovinzen un-
mittelbar bedrohe. Die Polen würden ihre Ansprüche auf deutsches Gebiet
stets verfolgen und die preußischen Polen ihnen in die Hand arbeiten.
Die Regierung in Wien würde gezwungen sein, sich zum Sachwalter dieser
Wünsche zu machen. So lange diese nur von einem alleinstehenden Polen
vertreten würden, könnte sich Deutschland damit abfinden, wenn aber ein
flawisches Osterreich dahinterstünde, dann erhielte das Ganze plötzlich ein
anderes Gesicht: Deutschland wäre in seinen Lebensinteressen ernstlich
bedroht, der Konflikt zwischen den beiden Reichen geschlossen und fände
Deutschland in einer ganz ungemein schwierigen militär-politischen Lage.
Die Provinz Schlesien wäre umfaßt und unsere Verbindung nach Ost-
preußen, Litauen und Kurland bedroht. Die Angliederung dieser beiden
Gebiete war damals durchaus keine Phantasterei. Mir war es auch nicht
klar, wie sich Deutschland wirtschaftlich mit der austro-polnischen Lösung
abfinden wollte, die uns in Polen selbst die größten Schwierigkeiten bringen
mußte und uns von dem russischen Markt abschloß. Wir wußten doch aus
Erfahrung, welche Erschwernisse Österreich-Ungarn als Durchgangsland
unserem Handel nach dem Balkan machte. Die Frage sollte von uns in
Zukunft noch oft besprochen werden, und ihre Beurteilung innerhalb der
deutschen Regierung noch eigentümliche Wandlungen durchmachen.