356 Der Entente-Angriff im ersten Halbjahr 1917
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Gedanken an den Feind beherrscht und geleitet werden. Drängen sich die
innerpolitischen Verhältnisse immer schärfer hervor, dann beginnt die
Kriegsfähigkeit eines Volkes zu sinken, das sollte sich jeder Staatsmann
sagen. Der Erlaß vom 7. April und der spätere vom 11. Juli deckten
unsere Blöße dem Feinde auf und zeigten die Angst vor der Revolution.
Wo Rauch ist, so mußte der Feind folgern, da glimmt es zum mindesten.
Also Brand kann entstehen. Der Umsturz wird kommen! Der Schluß
konnte für den Feind nur lauten: Ausharren und schüren, bis das Ziel,
der Umsturz in Deutschland und Deutschlands Vernichtung, erreicht ist.
Die Wirkung des Aprilerlasses nach innen war zum Teil die gleiche
wie nach außen. Die zerstörenden Elemente witterten die Angst der Re-
gierung und wurden anspruchsvoller. Die Streiks in der zweiten April=
hälfte waren ihre Antwort; sie waren ein Widerhall der russischen Revo-
lution und bewiesen zugleich die erschreckende Teilnahmlosigkeit für die
hart kämpfende Front. Sie zeigten auch den Umfang, in dem die Arbeiter-
massen den bisherigen Führern entglitten waren. Eine beruhigende Wir-
kung des Erlasses, wie sie die Regierung wohl erhoffte, trat nicht ein, dazu
war der Zeitpunkt versäumt und die Regierung selbst nicht stark genug
und nicht fähig, aus sich heraus etwas Neues zu schaffen.
Das Volk bewegte das preußische Wahlrecht nur wenig, nur einige
politische Kreise und Zeitungen beschäftigte es lebhaft. Leider gab es Anlaß,
den Riß im Innern zu vertiefen und die unterirdische Wühlarbeit zu ver-
stärken; im Heer fand die ganze Frage keinen Anklang, die Marine, der
Heimat näher und in Ruhe, soll sich mehr damit befaßt haben. Ich dachte
nur mit Sorgen an Wahlkämpfe während des Krieges. Sie mußten eine er-
neute Schwächung unserer Kampfkraft bringen. Ich hielt eine Wahl auch
für eine Ungerechtigkeit gegen den Soldaten am Feinde, der nach damaligen
richtigen Begriffen nicht mitwählen durfte. Von Freunden und Gegnern
des Wahlrechts wurde ich in den Parteienstreit hineingezogen, obschon ich
nie zu der Frage Stellung genommen habe. Ich sprach mich oft in diesem
Sinne auch Ministern gegenüber aus. Persönlich erhoffte ich eine Lösung
der Wahlrechtsfrage auf berufsständischer Grundlage, wie sie auch Bis-
marck als die geeignetste vorgeschwebt hatte. Diese konnte vielleicht unserm
stockenden und unfruchtbaren öffentlichen Leben neue Kraft geben. Zu
solcher Einsicht waren wir damals noch nicht fähig. Das jetzt aufgekom-
mene unklare Wort „Verankerung der Arbeiterräte in der Verfassung“
weist von neuem auch auf eine berufsständische Volksvertretung, zum min-
desten in einer ersten Kammer, hin. Undenkbar ist, daß nur ein Stand
verfassungsmäßige Rechte haben und die anderen leer ausgehen sollen.
Weitere Erscheinungen bekundeten das Nachlassen unseres Kampf-
willens, der noch am 27. Februar, allerdings vor dem Ausbruch der