Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

360 Der Entente-Angriff im ersten Halbjahr 1917 
  
  
  
In Kreuznach hatten wir vorübergehend an die Nachfolgerschaft des 
Fürsten v. Bülow geglaubt. Die Verhältnisse wurden noch verworrener, 
als plötzlich die k. u. k. Regierung augenfällig Partei für den Reichskanzler 
v. Bethmann und gegen den Fürsten v. Bülow nahm. 
Der Kaiser hatte sich für das Bleiben des Reichskanzlers v. Bethmann 
entschieden; auch der Kronprinz, der in Berlin eingetroffen war, hatte sich 
damit abgefunden. Ich konnte nach allem Vorgefallenen den Kanzler 
nicht mehr für den geeigneten Mann halten, der die Kriegsarbeit leisten 
würde, die dieser Krieg von ihm forderte, und der das deutsche Volk aus 
dem Tiefstand seiner geistigen Spannkraft heraus zum Siege führen könnte. 
Daß die Oberste Heeresleitung, um auf dem Schlachtfelde zu siegen, der Mit- 
arbeit des Staatsmannes daheim bedurfte, war mir immer klarer geworden, 
je mehr ich nach übernahme meines Amtes die Lage übersah. Diese 
Mitarbeit hatten wir nicht gewonnen. Nationales Denken und Empfinden 
daheim waren zurückgegangen. Es fehlte der politischen Leitung jede Ge- 
staltungsgabe, jede starke, die Seele des Volkes packende und dann 
auch seine Kräfte entfaltende Idee. 1914 durchglühten uns die Liebe und 
Hingabe an das Vaterland und das Vertrauen zum eigenen Können. Wir 
mußten jetzt neuen Schwung, neuen Antrieb erhalten, der das deutsche 
Volk hinwegführte über jahrelange Leiden und Nöte, Bitternisse und Ent- 
täuschungen, der es wieder mit heiligem Feuer, mit Kraft und Zuversicht 
erfüllte und es in den Stand setzte, die Wehrmacht am Feinde mit 
neuem Impuls zu durchdringen. Der Reichskanzler unterschätzte den Wert 
solcher Imponderabilien. Das deutsche Volk aber mußte weiter darben. 
Der Reichskanzler hatte die Ablehnung unseres Friedensangebots durch 
die Feinde vorübergehen lassen, ohne dem Volk zu zeigen, daß es nach 
dem Willen unserer Feinde keinen billigen Frieden haben könne, daß uns 
vielmehr nach seiner eigenen Überzeugung und seinen Worten ein „Heloten- 
frieden“ erwartete. Er hatte das Volk nicht mit neuer kriegerischer Ent- 
schlossenheit erfüllt, es nicht aufgerufen zum Kampf für sein Leben und 
seine Ehre gegen einen starkwilligen, unsere Vernichtung erstrebenden 
Feind — statt dessen ließ er, selbst zweifelnd an unserem Sieg, zu, daß das 
Gerede über einen nicht erreichbaren Verständigungsfrieden uns entnervte, 
der Entente dagegen Trümpfe in die Hand spielte. 
Die völkerrechtswidrigen Handlungen Englands, die es zu seiner 
Würgeblockade gegen unser Fleisch und Blut befähigte, wurden nicht mit 
flammendem Protest erwidert, die Herzen nicht mit starkem, männlichem 
Haß erfüllt, der heilige Zorn des Volkes nicht gegen einen unmenschlichen 
Feind gerichtet — statt dessen zugelassen, wie der Unwille über die Zustände 
daheim, die ihre Ursache in jener Blockade fanden, sich nach innen richtete, 
die Wirkung der Blockade vertiefte und unser Volksleben zerfraß.
	        
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