Fürsorge für Kriegsbeschädigte 371
Fürsorge gezahlt sind, entspricht nicht meinen Anschauungen. Dazu war sie
nicht da. Ich wollte helfen — jetzt geht es mir wie ein Stich durchs
Herz, wenn ich erwerbsunfähige Kriegsbeschädigte auf der Straße — betteln
sehe. Auch das nennt man Dank und nationales Gewissen!
Besonders bedeutungsvoll erschien mir in der Kriegsbeschädigtenfür-
sorge die Frage, wie tapfere Männer, die Glieder verloren hatten, wieder
zu lebens= und arbeitsfreudigen Menschen zu erziehen wären, um sie damit
sich selbst und dem Vaterlande wiederzugeben. Alle darauf gerichteten
Bestrebungen und die Fortschritte in der Herstellung der künstlichen Glieder
verfolgte ich mit lebhaftem Empfinden.
Bei der Versorgung handelte es sich nicht nur um die der Hinter-
bliebenen und Kriegsbeschädigten, sondern auch darum, den gesunden
Soldaten, die arbeiten wollten, eine wirtschaftliche Sicherstellung nach dem
Kriege zu ermöglichen. Das war eine Pflicht des Staats und der Daheim-
gebliebenen gegenüber dem Stande, der selbstlos so Unendliches für sie ge-
tan hatte. Den Soldaten waren billige Wohnungen und billiges Land mit
Eigentumsrecht unter vorteilhaften Bedingungen und unter Ausschluß der
Spekulation zu geben. Allerdings konnte dies nur sehr langsam und
schrittweise geschehen und durfte nicht den früheren Besitzer vergewaltigen
und rechtlos machen. Die Ausführungen des Bodenreformers Herrn Da-
maschke über die Notwendigkeit, das Wohnen, namentlich für unsere Ar-
beiterbevölkerung, zu verbilligen und von der Ausbeutung fern zu halten,
sowie seine geschichtliche Darstellung haben einen großen Eindruck auf mich
gemacht. Seine Mitteilungen über die Wohnungsnot nach dem Kriege
1870/71 erschienen mir in hohem Grade wichtig. Die Oberste Heeres-
leitung wandte sich an den Reichskanzler, betonte die große Bedeutung der
Wohnungsfürsorge für die Nachwirkung des Krieges auf Volks= und Wehr-
kraft und bat um ein Reichsgesetz über Heimstättenrecht und Kriegerheim-
stätten, gleichzeitig um Bereitstellen von Geldmitteln für den Bau kleiner
Wohnungen und um Sicherung gegen Einflüsse der Bodenspekulation.
Die Oberste Heeresleitung interessierte den Feld-Sanitätschef Generalstabsarzt
v. Schjerning für die gesamte Bevölkerungspolitik, der er und feine Mit-
arbeiter, vor allem Oberstabsarzt Dr. Hochheimer, sich mit der größten Hin-
gabe annahmen. Ihre Gedanken fanden Niederschlag in einer Denkschrift,
die ebenfalls an den Reichskanzler ging.
Mich beseelte der Wunsch, ein zufriedenes und wehrhaftes Geschlecht
nach dem Kriege zu erziehen. Ich wollte im Baltikum ein großes Sied-
lungsgebiet für Soldaten und die später aus Rußland in großer Zahl zu
erwartenden deutschen Rückwanderer schaffen. Die weiten, unbewohnten und
unbearbeiteten Flächen dort boten Raum für deutsche Siedlungen, ohne
die Landesbewohner zu beengen. Auch Elsaß-Lothringen war zu Sied-
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