30 Lüttich
Die Brigade rückte nun an und besetzte die Zitadelle, die ich sofort zur
Verteidigung einrichtete.
Meine selbstübernommene Aufgabe war damit beendet. Ich konnte
General v. Emmich bitten, mich nunmehr zu entlassen. Ich beabsichtigte.
auf dem gleichen Wege, auf dem ich hineingekommen war, aus der Festung
herauszufahren, um das Armee-Oberkommando von dem Vorgefallenen in
Kenntnis zu setzen, die anderen Brigaden aufzusuchen und den Artillerie-
aufmarsch gegen die Forts einzuleiten. Noch während ich auf der Zita-
delle war, trafen einige hundert Mann deutsche Gefangene ein, die jetzt
befreit waren. Die 34. Inf. Brig. war auf dem westlichen Maasufer mit
ihren Anfängen durchgebrochen, hatte aber dann den Kampf aufgegeben.
Die durchgebrochenen Teile waren gefangen genommen. Dann kam noch
die 11., später die 27. Inf. Brig., so daß General v. Emmich, als ich ihn
verließ, doch über eine gewisse Macht verfügte. Allerdings lagen Mel-
dungen vor, daß Franzosen von Namur in Vormarsch wären. Die Lage
blieb also verzweifelt ernst. Sie konnte erst als gesichert angesehen werden,
wenn wenigstens einige Ostforts gefallen waren.
V.
Mein Abschied von General v. Emmich war bewegt. Um 7 Uhr trat
ich die Fahrt nach Aachen an, die eigenartig war. Ein Mann der Garde
civique erbot sich, mich dorthin zu bringen. Er wählte einen Kraftwagen
aus, den ich aber ablehnte. Der Kraftwagen, den ich nahm, versagte schon
in der Zitadelle. Mir blieb so nichts anderes übrig, als mich blind dem
belgischen Soldaten anzuvertrauen. Die Fahrt ging glatt. Wir kamen.
durch Hervé; mein Quartier und der Bahnhof waren niedergebrannt. Auf
deutschem Gebiet blieb der Wagenführer plötzlich halten und erklärte mir,
er könne nicht weiterfahren. Mit Hilfe verschiedener Fahrgelegenheiten
traf ich dann spät abends mit meinem belgischen Soldaten in Aachen ein.
Ich wurde dort in dem Hotel Union wie ein vom Tode Auferstandener be-
grüßt. Hier fand ich auch unsere große Bagage mit meinem Burschen Ru-
dolf Peters, der mir Treue während sechs langer Jahre bewahrt hat. Sein
größter Wunsch war das Eiserne Kreuzz er konnte es nicht erhalten, da die
Verleihung desselben an ihn meinen Anschauungen widersprach. In Aachen
aß ich schnell und fuhr dann in der Nacht nach vorn, um die Brigaden zu
suchen. Beinahe 90 Stunden kam ich nicht aus den Kleidern. Ich traf
zufällig mein altes Regiment, das in aller Eile auf die Bahn gesetzt war,
um bei Lüttich zu helfen. Auch die Oberste Heeresleitung in Berlin hatte
über unser Schicksal die schwersten Befürchtungen gehegt.
Die Lage unserer Truppen in der Festung war hochgespannt. Ich