390 Die Schlacht in Flandern und der Zusammenbruch Rußlands
taktischen Erfahrungen teils an der Front, teils durch Fernsprecher. Auch
jetzt fuhr ich nach Flandern, um mit Offizieren, die die Kämpfe mit-
gemacht hatten, die gleichen Fragen zu behandeln. Nach irgendeiner
Richtung hin mußte unsere Abwehrtaktik weitergebildet werden. Das
Gefühl hatten wir alle; es war nur so unendlich schwer, das Richtige zu
finden. Wir konnten nur vorsichtig umhertasten. Die Vorschläge, die mir
von an Ort und Stelle befindlichen Herren gemacht wurden, bewegten sich
mehr in Richtung unserer früheren Taktik. Sie liefen auf ein allerdings
nur geringes Verstärken unserer vorderen Linie und Verzicht auf die
Gegenangriffe der Eingreifdivisionen hinaus; diese sollten durch örtliche
Gegenstöße ersetzt werden. Eine schon vor Beginn des feindlichen An—
griffs dicht herangeführte und auf breite Front verteilte Division der
zweiten Welle sollte sie führen. Während die vordere Linie sich so wieder
etwas verdichtete, um dadurch kampfkräftiger zu werden, vertiefte sich
das gesamte Kampffeld noch mehr. Das bedeutete für die Oberste
Heeresleitung im wesentlichen die Bereitstellung einer zweiten Division
hinter jeder Kampfdivision vorderer Linie, also einen Kräfteverbrauch, wie
er bisher noch nicht da war. Daß durch die Verwendung einer zweiten
Division beinahe hinter jeder vorderen die Sicherheit der Verteidigung
wuchs, war ein einfaches Rechenexempel; ebenso einfach aber war auch
das zweite, daß die Fronten dann an anderer Stelle viel mehr verdünnt
werden mußten, als es bisher geschehen war. Ich wollte sehen, was ich
machen konnte. Den taktischen. Änderungen stimmte ich zu, wenn auch in
meinem Stabe gegen die Abkehr von der „Abwehrschlacht“ Bedenken ge-
äußert wurden. Ich glaubte, den Fronterfahrungen den Vorzug geben
zu müssen.
Eine weitere taktische Erscheinung, die überall hervorgehoben wurde,
war der Wert der Erdbeobachtung der Artillerie. Nur so konnte die an—
greifende und namentlich die in unsere Linien eingebrochene feindliche In-
fanterie vernichtend getroffen, Massenfeuer nach den entscheidenden Punk-
ten des Schlachtfeldes schnell vereinigt werden.
Über die Tanks war das Urteil ein ruhiges; eine besondere Gefahr
wurde in ihnen nicht gesehen. Ich sprach absichtlich von einem „Tank-
schrecken"“; der Ausdruck wurde von den anwesenden Frontoffizieren
abgelehnt.
Daß die 4. Armee an Artillerie nebst Munition, Fliegern und sonsti-
gen Waffen von vornherein so reich wie möglich ausgestattet war, ist
selbstverständlich. Auch Oberst v. Loßberg, der immer sehr viel haben
wollte, war schließlich mit seiner Heeresgruppe und mit mir zufrieden. Über
die Operationen im Osten und in Italien urteilten die Herren im Westen
mit zunehmender Besorgnis.