Die Lage im Osten 35
die vorderste Befestigungslinie der Festung Königsberg. Das I. A. K.
sollte von den Stationen westlich Insterburg mit der Eisenbahn nach
Goßlershausen zur Verfügung des Armee-Oberkommandos und die
3. Res. Div. von Angerburg nach Allenstein—Hohenstein zur Verstärkung
des XX. A. K. gefahren werden.
Die nur leicht befestigte Seenlinie Nikolaiken—Lötzen war in unserer
Hand. Es hatte sich ihr nur schwächerer Feind genähert.
Der Kommandierende General des XX. A. K., General v. Scholtz,
befehligte an der Südgrenze OÖstpreußens. Er hatte seine Divisionen, die
ihm noch unterstehende 70. Ldw. Brig., Teile der Kriegsbesatzung von
Thorn und der anderen Weichselfestungen unter steten Kämpfen mit der
russischen Narew-Armee unter Samsonow bei Gilgenburg und östlich zu-
sammengezogen. Er wurde von ihr sehr hart bedrängt.
Mit dem Weitermarsch der beiden feindlichen Armeen zu beiden
Seiten der Seensperre war zu rechnen. General v. Moltke sagte mir, daß
die 8. Armee die Absicht habe, das Land östlich der Weichsel zu räumen,
nur die Festungen sollten ihre Kriegsbesatzungen behalten und verteidigt
werden. Die 8. Armee hatte diesen Entschluß zweifellos in der Erwartung
gefaßt, daß die Entscheidung im Westen bald fiele, dann konnte mit den
von dort eintreffenden Verstärkungen Ostpreußen zurückerobert und der
eingedrungene Feind geschlagen werden. Bei den strategischen Kriegs-
spielen des Generals Grafen v. Schlieffen ist dies oft durchgespielt worden.
Wenn die Voraussetzung zutraf, war der Entschluß der 8. Armee, sich
für den späteren Kampf zu erhalten, richtig. Aber er berücksichtigte nicht die
Wirklichkeit des Krieges und trug nicht der ungeheuren Verantwortung
Rechnung, eigenes Land dem Feinde zu überlassen. Was die durch den
Krieg unmittelbar betroffenen Länder auch bei humanster Kriegführung
zu leiden haben, das hat dieser Weltkampf der Menschheit wieder gelehrt.
So, wie nun einmal die Verhältnisse sich entwickelten, hätte uns der Rück-
zug hinter die Weichsel unsere Niederlage gebracht. Wir würden die Weich-
sellinie vor der russischen Ubermacht nicht gehalten haben, zum mindesten
waren wir nicht imstande, die k. u. k. Armee im September unmittelbar zu
unterstützen. Ihr Zusammenbruch wäre dann erfolgt. Die Lage, die ich vor-
fand, war zweifellos sehr ernst, aber schließlich gab es doch noch Auswege.
Auf meine Bitte wurde sogleich nach dem Osten befohlen, daß der Rück-
marsch der Hauptteile der 8. Armee für den 23. einzustellen sei. Das I. R. K.,
das XVII. A. K. und die Hauptreserve der Festung Königsberg hatten zu
rasten. Das I. A. K. sollte nicht in Goßlershausen, sondern näher bei
General v. Scholtz in der Gegend östlich Deutsch-Eylau ausgeladen
werden. Alle irgendwie noch verfügbaren Teile der Kriegsbesatzungen von
Thorn, Kulm, Graudenz, Marienburg waren nach Strasburg und Lauten-
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