Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

424 Die Schlacht in Flandern und der Zusammenbruch Rußlands 
  
höhung der Leistung der Arbeiter, das Herausziehen einer möglichst großen 
Zahl kriegsverwendungsfähiger Leute aus der Industrie spätestens im Früh- 
jahr 1918, sowie die Verlängerung der Wehrpflicht für nötig. Das 
Schreiben schloß: 
„Das aber muß ich pflichtmäßig betonen: Die Lage muß sich kritisch 
gestalten, wenn wir nicht tatkräftig und sofort handeln. Handeln wir 
in diesem Sinne, so wird auch das Heer den Krieg zum guten Ende 
führen. 
Für alle an den vorstehend behandelten Fragen verantwortlichen 
Stellen besteht also eine ungeheure Verantwortung. Insbesondere darf 
namentlich dem Reichstage, den Gewerkschaften usw. kein Zweifel darüber 
gelassen werden, daß auch sie durch Zaudern oder Ablehnung die schwerste 
Schuld auf sich laden. 
Daß, nachdem Monate ungenutzt verstrichen, schnelles Handeln geboten 
ist, bedarf keines Hinweises.“ 
Auch dieses Schreiben sollte keinen Erfolg haben. Ob der Reichstag 
unterrichtet wurde, ist mir unbekannt geblieben. 
Nachdem ich den Reichskanzler Grafen v. Hertling kennen gelernt hatte, 
mußte ich mich überzeugen und sehr bald damit rechnen, daß auch dieser 
Mann kein Kriegskanzler sei. Graf v. Hertling stand ganz auf dem Boden 
der Reichstagsmehrheit, aus der er in gewisser Weise hervorgegangen war, 
und des Programms vom Verständigungsfrieden. Er sprach dies klar und 
deutlich in seinen ersten großen Reden aus, ohne bei der Entente irgend- 
einen Widerhall auszulösen. Er nannte sich „Versöhnungskanzler“. Ich 
glaube, die Zeit war noch nicht reif für die Versöhnung. Wir brauchten 
einen Kanzler, der ganz den kriegerischen Aufgaben seiner hohen Stellung 
lebte, kraftvoll und energisch handelte und das Volk über die Gefahren 
aufklärte, die ihm drohten. Das alles aber widersprach der Natur des 
Grafen v. Hertling. Er war gewandt in der Behandlung der Reichstags- 
parteien, gab ihnen jedoch auch da nach, wo die Kriegführung es 
anders verlangte. Ehrlicher Wille hat Graf v. Hertling bewogen, das 
Amt anzunehmen: die Zeit erforderte aber eine kraftvolle Persönlichkeit. Die 
Arbeitslast war für seine hohen Lebensjahre und seine Gebrechlichkeit zu 
groß. Sollte ich das Seiner Majestät wiederum sagen? Wer sollte Kanz- 
ler werden, nachdem der Kaiser sich wiederholt gegen den Fürsten v. Bülow 
und den Großadmiral v. Tirpitz ausgesprochen hatte? Wer war der Mann, 
der sich in die Bresche stellte und mitkämpfte, der durch die zwingende Macht 
seiner Ziele das Volk einigte und führte? Viele Menschen waren schon mit 
dem Vorschlag meiner Kanzlerschaft an mich herangetreten. Dieser Gedanke 
war verfehlt, wenn auch gut gemeint. Die Arbeit, die ich zu bewältigen 
hatte, war ungeheuer; um den Weltkrieg zu führen, mußte ich das Kriegs-
	        
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