fullscreen: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. Erster Theil, Erster Band. (1)

Von Erwerbung des Eigenthums. 547 
  
100) Dieser Satz paßt weder zu der Theorie, nach welcher die Verjährung eine Bernichtung oder 
Verlöschung des Rechts wirkt, noch zu der, nach welcher aus der Verjährung nur die Vermuthung 
irgend einer Aushebung entstehen soll (s. b68), noch ist der damit verknüpft gewesene juristische Ge- 
danke erkeunbar und die praktische Anwendung ist gar schwierig. Was jene Theorie betrifft, so kann 
ein ganz und gar (ipso jure) verloscheues Recht durch bloßes Anerkenntniß nicht wieder existent werden, 
und was die andere Thcorie (s. 568) anlangt, so ißt bei derselben ein besouderes qualifizirtes Aner- 
kenntniß, „aus welchem ein neuer Rechtsgrund entsteht“ unmöglich erforderlich, da die Vermuthun 
schlechtweg durch die Wirklichkeit, mithin durch die Erklärung des Schuldners, daß die Schuld nach 
nicht aufgehoben worden, beseitigt werden kann. — An welchen Rechtsbegriff man bei einem Aner- 
kenntnisse denken soll, „aus welchem, nach den Gesetzen, ein neuer Rechtsgrund entsteht,“ ist nicht 
zu sagen, denn ein Anerkenntniß ist überhaupt gar keine Entstehungs- oder Begründungsart für ein 
uldverhältniß. Vgl. o. Anm. 80 zu F. 189, Tit. 5. Der ganze Satz ist durch einen Rechts- 
irrthum entstanden. Der erste Entwurf hatie im §. 20 nur den Satz: „Durch gegenseitiges Aner- 
kennimiß des Rechts wird die Verjährung immer unterbrochen.“ Heidenreich monirte, es sei zu 
setzen: „Die noch nicht vollendete Brrlährung. u. s. w. Dazu bemerkte Suare#z: „Herr Heiden- 
reich meint, wenn auch nach vollendeter Verjährung das streitige Recht anerkannt würde, so schade 
doch solches dem Präskribenten nicht, und will dies ausdrücklich gesagt haben. Die Sache scheint mir 
sehr zweifelhaft; ich bin aber geneigter das Gegentheil anzunehmen, denn die Agnition ist ein 
neuer Rechtsgrund.“ Hierauf ist konkludirt: „Rach vollendeter Verjährung wird 
die Verbindlichkeit per agnitionem erneunert.“ ESimon, Material., S. 466. Hier 
ist also vorausgesetzt: das Anerkenntniß sei ein Entstehungsgrund für ein Schuldverhältniß. Nun 
drachte der gedruckte Entwurf den §. 445 d. T., welcher mit unserem §. 564 wörtlich gleichlamet. 
Er ist dem Konklusum nicht entsprechend gefaßt; denn nach dem Konklusum sollte ein Anerkenntniß 
das erloschene Recht erneuern; der §. 564 aber sagt: das Anerkenntniß hebe die Wirkung der Ver- 
jährung nur insofern auf, ols aus dem Anerkenninisse, noch den Gesetzen, ein neuer Rechtesgrund 
entsteht. Wird die Satzung nach dem Wortlaute genommen, so ist sie ohne Juhalt, denn nach den 
Gesetzen ist das Anerkenntniß kein neuer Rechtsgrund, d. h. ein Entstehungsgrund. Nach dem Zu- 
sanunenhange ist die Sache die: Gemeinrechtlich steht die Ausschließung der Versährung und die Mo- 
difzirung der Bedingungen oder Wirtungen der Verjährung in Frage. Eine solche Abäuderung der 
Rechtebestimmungen durch Parteiwillkür kann vor und nach Ablauf der Verjährung gedacht werden. 
Ueber die Zulässigkeit einer solchen Uebereinkunst vor Ablauf der Verjährung, sei es sogleich bei Ein- 
gehung des Nechtsgelchäe oder durch einen späteren besouderen Vertrag, ist Streit; die Unzulässigkeit 
wird von Vielen behauptet, weil die Verjährung dem jus publicum angehörig und deshalb der Pri- 
vatwillkür entzogen (L. 38 D. de pactis, II, 14; L. 45, S. 1 D. de reg. jur. L, 17). Neuere Ge- 
setzgebungen, namentlich der Code civil Artt. 2220 bis 2222 und das östr. G. B. 8. 1502 sind die- 
ser Meinung Feleig. Das A. 2.N. bingegen hat, nach vorherigem Schwanken (Simon, Mater., 
S. 473, 474), sich der entgegengesetzten Ansicht angeschlossen. Iz. 565 — 567, 669 d. T. Dage- 
gen ist man einverstanden darüber, daß es gestattet sei, nach Ablaus der Berjährung auf die daraus 
erlangten Vortheile zu verzichten, womit auch jene beiden Gesetzbicher a. a. O. übereinstimmen. Dies 
ist es, auf was der §. 564 bezogen werden muß. Die Anwendung setzt mithin bei dem Berzichten- 
den das Bewußtsein der Erlöschung des fraglichen Rechts und die Absicht, die Wirkung der Verjäh- 
rung aufzuheben, voraus. 
(4. A.) Wie man sich die Bestandtheile des Inhaltes eines solchen Anerkenntnisses, „aus welchem 
nach den Gesetzen ein neuer Rechtsgrund eutsteht,“ zu denken habe, läßt sich, wic gesagt, nicht be- 
stimmen, wenn man die Lesimmung nicht auf einen Verzicht auf die durch die Verjährung erlaug- 
ten Bortheile beziehen will. Das O lößt es in einem Erk. v. 19. Septbr. 1854 dahin gestellt 
sein, wie der neue Rechtsgrund hätte beschaffen sein müssen; denn das damals vorliegende Anerkennt- 
niß war bei einem Gegenstaude von mehr als 50 Thlrn. wegen Mangels der Schriftform unkräftig 
(Arch. für Rechtes. Bd. XIII. S. 364), da das Anerkeuntniß, wie es in dem Erk. des Obertr. vom 
15. April 1862 (Arch. f. Rechtes. Bd. XIV., S. 202) direkt ausgesprochen wird und auch nicht zwei- 
felhaft ist, bei Gegenständen Über 50 Thlr. schriftlich gegeben sein muß. Dieser Grund war für die 
Entscheidung hinreichend, jo es könnte behauptet werden, daß ein solches Anerkenntniß wegen der 
darin enthaltenen Verzichtleistung allemal die schriftliche Form haben müsse, wenngleich schon der bloße 
Nichtgebrauch des Einwandes der Verjährung im Prozesse die Vortheile der Verjährung entzieht. 1I, 16, 
8. 383. In einem jüngeren Erk. v. 7. Juli 1860 (Arch. f. Rechtsf. Bd. XXXVII, S. 329) nimmt 
das Obertr. an, ein Auerkeuntniß, welches das Bekenntniß, daß die verjährte Schuld noch nicht ge- 
tilgt worden sei, und das Versprechen, die schuldige Summe zu einer bestimmteu Zeit zu bezahlen, 
enthalte, sei mit allen Erfordernissen eines Schuldscheins (6. 730, Tit. 11) versehen, und stelle, 
wenn auch die Natur der ursprünglichen Verbindlichkeit durch die Ausstellung des Schuldscheins nicht 
ceändert werde, einen neuen Rechtsgrund her. Was damit gemeint sei, ist juristisch nicht ver- 
ändlich. Der §. 730, Tü. 11 spricht von Schunscheinen Über Darlehen, und die verjährte Schuld 
war für Beköstigung entstanden; es war weder eine neue Bekostigung vorgekommen, noch ein Dar- 
lehn gegeben, solglich keine neue causs debendi gegeben worden, wie das Obertribunal vorgiebt; deun 
35“
	        
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