Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

42 Der Angriff im Westen 1918 
  
Den für die Erhaltung der Mannszucht verantwortlichen Führern wurde 
das wirksamste Strafmittel entzogen: Die Verbüßung des strengen Arrestes 
durch Anbinden. Diese Strafe war gewiß ungemein schwer, ihre Voll- 
streckung durfte auch nicht in der Hand der jugendlichen unerfahrenen 
Kompagnieführer liegen, aber sie ganz abzuschaffen, war verderblich. Mag, 
damals die Milderung am Platze gewesen sein, jetzt erwies sie sich als ver- 
hängnisvoll; auch die häufig stattfindenden Amnestieerlasse beeinflußten 
die Mannschaften ungünstig. Die Entente hat mit ihren erheblich schärfe- 
ren Strafen jedenfalls mehr erreicht als wir. Diese historische Wahrheit 
steht fest. 
Noch andere Mißstände für die Rechtspflege hatte der lange Krieg 
gezeitigt. So hatte unter den Richtern eine weiche Auffassung über 
militärische Vergehen Platz gegriffen, die häufig unverständlich war. Hier- 
bei wirkte mit, daß die Fälle, die an der Front vorgekommen waren, nicht 
unmittelbar nach Begehung vom Truppenteil abgeurteilt wurden, sondern 
weiter hinten in ganz anderen Verhältnissen und nach einer gewissen Zeit- 
spanne. Es blieb immer zu bedenken, daß viele Elemente im Heere 
waren — die zahlreichen Deserteure und Drückeberger sind ein trauriger 
Beweis —, die keinerlei Schonung verdienten. Für diese mußten die 
Strafen hart sein, das gebot die Not des Vaterlandes, aber auch die Rück- 
sicht auf die braven und tapferen Soldaten. Gottlob waren diese immer 
in der großen Mehrzahl vorhanden! Vergaß sich ein solcher Soldat ein- 
mal, dann hatte der Gerichtsherr die Möglichkeit, durch Strafaufschub dem 
Sonderfall gebührend Rechnung zu tragen. Viele Verbrechen geschahen, 
um sich durch das Strafverbüßen dem Frontdienst und damit dem Kampf 
zu entziehen. Wir kamen dahin, Gefangenen-Kompagnien zu bilden, die 
in den vordersten Linien zu Arbeitszwecken verwendet wurden. Es ist dies 
ein trauriges Kapitel! Ich habe es mit dem Kriegeminister behandelt. 
Ihm unterstand die Rechtspflege im Heere, die Oberste Heeresleitung hatte 
auf sie keinerlei Einfluß. Ich konnte auch bei den Armee-Oberkommandos 
nur dahin wirken, daß immer wieder das Aufrechterhalten der Mannszucht 
als erste Notwendigkeit hingestellt und betont wurde. Die Vorgesetzten 
mußten aufgeklärt sein über die Macht= und Rechtsmittel, die ihnen zur Ver- 
fügung standen. Sämtliche Armee-Oberkommandos waren von der eisernen 
Notwendigkeit, entsprechend zu wirken, überzeugt. Hiermit war das ge- 
schehen, was von außen her veranlaßt werden konnte; nun mußte die Truppe 
die Kraft zeigen, ihre Mannszucht rein zu halten. Dabei kam es wieder 
ausgesprochen auf den Offizier an. Und wenn die Mannszucht bei Trup- 
penteilen nachließ, so sind die Kommandeure daran nicht schuldlos. 
Aus vielen Gesprächen, die ich in diesen Tagen gelegentlich von Übun- 
gen mit Offizieren aller Grade führte, entnahm ich wiederum die bekannten
	        
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