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In Galizien war die Lage schon jetzt ungünstig geworden. Die Masse
des russischen Heeres hatte sich gegen die österreichisch-ungarischen Armeen
geworfen und sie Ende August östlich Lemberg geschlagen. Die k. u. k.
Armee war zu Kriegsbeginn kein vollwertiges Kampfinstrument. Hätten
wir wirklich Angriffsgedanken vor dem Kriege gehabt, so hätten wir darauf
dringen müssen, daß Österreich-Ungarn seine Wehrmacht verbesserte. Auch
sein Eisenbahnnetz, das vollständig unzureichend war, wäre auszubauen
gewesen. Es bleibt aber trotzdem ein schwerer Fehler, daß wir das unter-
lassen haben. Der Dreibund war nur ein politisches Bündnis. Dasjenige
zwischen Frankreich und Rußland trug einen ausgesprochen militärischen
Charakter. Hieraus ergab sich ein großer Vorsprung unserer Feinde.
Auch unsere Abmachungen mit Österreich-Ungarn für einen gemein-
samen Krieg waren nur dürftige. General Graf v. Schlieffen fürchtete einen
Vertrauensbruch, wie ein solcher auch tatsächlich vorgekommen war. Ein
gemeinsamer Operationsplan hat nur in sehr rohen Formen bestanden. Der
Aufmarsch des österreichisch-ungarischen Heeres jenseits des San war nur
gerechtfertigt, wenn es sich allein dem russischen Heere überlegen fühlte, wie
es von vielen österreichisch-ungarischen Offizieren auch angenommen wurde,
oder wenn wir gleichzeitig mit starken Kräften über den Narew gehen
konnten. Hierzu waren wir nicht in der Lage, da die letzte Heeresvorlage
die vom Generalstabe erhofften drei Armeekorps nicht gebracht hatte. Jetzt
war außerdem der Ausfall Italiens an der Westfront zu decken.
Nach unseren älteren militärischen Abmachungen mit Italien sollten
drei italienische Armeekorps mit zwei Kavallerie-Divisionen im Elsaß auf-
marschieren, während die Masse des Heeres, abzüglich des Küstenschutzes,
an der französischen Grenze Oberitaliens versammelt wurde. Die Flotte
sollte gleichzeitig dahin trachten, die Verbindung Frankreichs mit seinem
Kolonialreich in Nordafrika zu unterbrechen. Eine Zeitlang wurde mit
diesen Verabredungen gerechnet. Dann fielen sie weg. Auf ausdrücklichen
Wunsch des Chefs des italienischen Generalstabes, Generals Pollio, wurden
die Maßnahmen wieder bearbeitet. ·
Im Sommer 1914, kurze Zeit vor dem Kriege, starb General Pollio.
Frankreich brauchte nicht einen Mann an seiner Südostgrenze stehen zu
lassen. Es konnte alles gegen uns einsetzen, da es genau wußte, daß Italien
nicht auf unserer Seite in den Krieg eintreten würde. Unser früherer Ver-
bündeter hat uns dadurch ganz ungemein geschadet. Der Ernst seiner Lage
England gegenüber war nicht zu verkennen. Die Gegnerschaft gegen Öster-
reich-Ungarn bestand. Diese Verhältnisse waren alt und hatten Italien
doch nicht gehindert, mit Österreich-Ungarn und uns das Bündnis zu
schließen. Es hatte viele Vorteile von ihm gehabt. Wir durften zum min-
desten erwarten, daß Italien sich uns verpflichtet fühlte. Ein gesunder