Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

484 Der Endkampf Sommer und Herbst 1918 
  
bewußt sein, wenn sie in dieser Lage die Macht übernahmen. Die Oberste 
Heeresleitung hatte der neuen Regierung genau wie der alten gegenüber 
ihre Ansichten zu vertreten und dafür zu sorgen, daß die Armee durch den 
Regierungswechsel nicht der leidende Teil in dem Fall würde, daß wirklich 
ein ehrenvoller Waffenstillstand erreichbar sei. 
Staatssekretär v. Hintze hielt trotz meiner Einwendungen eine Neu- 
gestaltung unseres ganzen Regierungssystems für nötig. Er erachtete die 
Neubildung auch nicht für so schwer. Ich konnte dies nicht nachprüfen, 
da ich die Verhältnisse in Berlin nicht übersah. 
Der Staatssekretär führte weiterhin aus, daß die Demarche bei 
der Königin der Niederlande nicht unternommen und ein weiterer Frie- 
densschritt nicht eingeleitet sei. Es war also nichts Positives geleistet. 
Jetzt erst legten der Generalfeldmarschall und ich die Lage und unsere 
Ansichten über Waffenstillstandsbedingungen dar. Staatssekretär v. Hintze 
hielt es für das Richtigste, an den Präsidenten Wilson mit dem Ersuchen 
um Waffenstillstand und Frieden heranzutreten. Der Schweizer Ge- 
sandte in Washington hatte unserer Regierung von neuem von den 
hohen Idealen Wilsons gesprochen. Es war selbstverständlich, daß der 
Umweg über Washington nach Paris und London verzögernd wirken 
mußte, und daß auf diesem Wege nicht von heute auf morgen, sondern erst 
nach längerer Zeit ein Waffenstillstand zu erreichen war. Dies widersprach 
auch nicht der Auffassung, die der Generalfeldmarschall und ich über die 
Lage hatten. Wir waren mit dem Vorschlage des Staatssekretär v. Hintze 
einverstanden, wenn wir auch anregten, die gleiche Note, wie an Wilson 
ebenfalls an England und Frankreich zur Kenntnisnahme zu richten. 
Nach der Besprechung fuhren wir sofort zu Seiner Moajestät, der aus 
Kassel nach Spaa gekommen war. Staatssekretär v. Hintze hielt den 
gleichen Vortrag über die innerpolitischen Verhältnisse und dehnte ihn jetzt 
auf den Friedens= und Waffenstillstandsschritt beim Präsidenten Wilson aus. 
Der Feldmarschall gab darauf das Bild der militärischen Lage, das ich nur 
kurz bestätigte. Seine Majestät war ungemein ruhig. Er erklärte sein Ein- 
verständnis, den Schritt bei Wilson zu unternehmen. Am Nachmittage er- 
ging auf Betreiben des Staatssekretärs v. Hintze ein Allerhöchster Erlaß an 
den inzwischen eingetroffenen Reichskanzler über die Einführung des parla- 
mentarischen Systems in Deutschland. Die Oberste Heeresleitung erhielt 
erst nach seiner Veröffentlichung von ihm Kenntnis; Graf Hertling glaubte 
ihn nicht verwirklichen zu können und trat ab. In Berlin begann nun die 
Suche nach dem neuen parlamentarischen Reichskanzler. Es war ein 
eigenartiger Vorgang, bei dem die Krone jede Initiative aus der Hand gab. 
Staatssekretär v. Hintze hatte mir auf die Frage, wann die neue Re- 
gierung gebildet und beschlußfähig wäre und die Note mit den Ver-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.