Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

Waffenstillstandsangebot oder Friedensangebot 595 
  
erkannt, daß mit der Art, wie der Erlaß Seiner Majestät an den Grafen 
Hertling am 29. September ausgeführt wurde, der Weg zur Revolution 
des 9. November beschritten war. 
Ebenso würde ein Friedensangebot ohne ein Waffenstillstandsangebot 
auf den Vernichtungswillen des Feindes keinerlei Eindruck gemacht haben. 
Das zeigen unsere früheren Angebote, die von der Entente als unehrlich 
und nicht aufrichtig hingestellt sind, das beweist der Schcitt des Grafen 
Burian. Erst durch das Waffenstillstandsangebot konnte dem Feinde bei 
seiner Denkungsart unsere Entschlossenheit, zum Frieden zu kommen, klar 
gemacht werden. Ein Friedensangebot allein rechnete mit einem Feinde, 
der bereit war, uns goldene Brücken zu bauen, und mit der Möglichkeit, 
sich mit ihm in absehbarer Zeit zu verständigen. Hatte man die Dauer 
der Verhandlungen in Brest und Bukarest vergessen? Jetzt war alles noch 
weit vielköpfiger. Es war zu übersehen, daß die Beratungen endlos 
dauern würden. Sollte während dieser langen Zeit das Heer vielleicht 
nutzlos bluten ohne jede Unterstützung aus der Heimat? Und wenn wäh- 
rend dieser langwierigen Verhandlungen sich unsere militärische Lage ver- 
schlechterte: mußte das nicht wiederum erheblich auf die Gestaltung des 
Friedens einwirken? 
Nur durch ein Waffenstillstandsangebot war schnell klar zu sehen, ob 
diejenigen Recht hatten, die einen doch ehrenvollen Frieden für möglich 
hielten, was ich freudig begrüßt hätte, oder ob wir vor einem Gewalt= 
frieden ständen, was uns zu neuem Tun anspornen mußte. Zeit hatten 
wir hierin nicht zu verlieren, das Heer dürstete nach Kräftezuschuß aus 
der Heimat. 
Die Entente hatte Farbe zu bekennen, und wir hatten danach zu 
handeln. Jetzt besteht kein Zweifel mehr über die wahren Absichten unserer 
Feinde. Werden die, die beharrlich von Versöhnung der Menschheit und 
von Verständigungsfrieden gesprochen haben, wenigstens jetzt endlich ehrlich 
eingestehen, daß sie den Feind und nach dem Gang der Revolution auch die 
Menschen in ihrer Gesamtheit unrichtig eingeschätzt haben, daß die Welt 
noch nicht reif ist für solche Lehren? 
Werden wir noch glauben, daß die Arbeiter der Ententestaaten mit 
den Vertretern des Gedankens der Versöhnung der Menschheit in einem 
Verständigungsfrieden Hand in Hand gehen? 
Es dämmerte schon lange im deutschen Volk. Der „Vorwärts“ schrieb 
am 5. Februar 1919 nach dem Siege der Regierungstruppen in Bremen: 
„Als Sozialdemokraten bedauern wir durchaus, daß es zur Gewalt- 
anwendung kommen mußte. Wir sind selbstverständlich Gegner jeder 
Gewaltanwendung. Aber Gegner der Gewalt sein, bedeutet noch nicht, 
jeden Gewaltakt der Gegenseite widerstandslos hinnehmen. Die Friedens- 
Ariegserinnerungen 1911—16. 38
	        
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