Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

Die neuen Staatssekretäre über die Stimmung in Heer und Heimat 607 
  
  
  
  
Ich habe das Bewußtsein, daß nicht ein Mann zuviel im Osten ver- 
wendet worden ist. 
Wir wandten uns jetzt bei der Besprechung der ausschlaggebenden Frage 
zu: Was kann und will die Heimat dem Heere geben? Hiervon hing alles 
Weitere ab. Ich hatte gehofft, daß im Schoß der Regierung hierüber Klar- 
heit herrsche. Das war aber nicht der Fall. Der neue Kriegsminister gab 
mir günstigere Ausblicke für Ersatzgestellung, als ich sie bisher gehabt 
hatte. Ich konnte sie nicht nachprüfen. Es machte mir besonders tiefen Ein- 
druck, daß 60 000 bis 70 000 Mann aus dem Heimatheer sofort verfügbar 
waren. Warum wurden sie nicht früher gegeben? Ich sagte: Wenn ich jetzt 
den in Aussicht gestellten Ersatz erhalte, so sehe ich vertrauensvoll in die 
Zukunft. Es muß aber bald sein. Der Minister versprach, keinen Tag zu 
versäumen. 
Ich wandte mich dem Geist in Heer und Heimat zu, der von ent- 
scheidender Bedeutung war, und sprach mich darüber aus, wie ich es in 
dieser Schrift immer wieder getan habe. Ich betonte, daß das Heer gerade 
jetzt Rückhalt gebrauche. 
Auf Wunsch des Reichskanzlers äußerten sich die drei anwesenden 
parlamentarischen Staatssekretäre über die Stimmung. 
Staatssekretär Gröber sprach nicht unmittelbar zu dieser Frage. 
Staatssekretär Scheidemann äußerte sich sehr ernst. Er glaube sehr 
gern, daß wir noch Hunderttausende für das Heer mobil machen könnten, 
aber man täusche sich, wenn man meine, daß diese Hunderttausende die 
Stimmung im Heer verbessern würden. „Die Arbeiter kommen mehr und 
mehr dazu zu sagen: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken 
ohne Ende.“ Staatssekretär Scheidemann gab als Ursache dieser so be- 
dauerlichen Stimmung die Verpflegungsnot an, die er mit dem Waggon- 
mangel in Verbindung brachte. Ich sagte sofort alle Maßnahmen zu, um 
diesem Mangel abzuhelfen, soweit es mir möglich war. Im übrigen 
enthielt seine Außerung eine schwere Anklage gegen unsere Regierung. 
So weit hatte sie den Geist von 1914 verderben lassen. Die Worte des 
Staatssekretärs Scheidemann waren eine Bankerotterklärung der Politik, 
die die Reichskanzler und die Mehrheitsparteien nach innen geführt hatten. 
Staatssekretär Haußmann glaubte, daß ein Appell an das Volk eine 
starke Wirkung haben würde. 
Staatssekretär Erzberger war abwesend. Er verlor in diesen Tagen 
seinen Sohn, der auch dem Vaterlande dienen wollte. 
Vizekanzler v. Payer sah die Stimmung nicht für so ernst an. wie 
Staatssekretär Scheidemann; er sprach sich ganz in meinem Sinne etwa 
wie folgt aus: 
„Als die zweite Wilsonnote kam, da ist die Stimmung zusammen-
	        
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