Die neuen Staatssekretäre über die Stimmung in Heer und Heimat 607
Ich habe das Bewußtsein, daß nicht ein Mann zuviel im Osten ver-
wendet worden ist.
Wir wandten uns jetzt bei der Besprechung der ausschlaggebenden Frage
zu: Was kann und will die Heimat dem Heere geben? Hiervon hing alles
Weitere ab. Ich hatte gehofft, daß im Schoß der Regierung hierüber Klar-
heit herrsche. Das war aber nicht der Fall. Der neue Kriegsminister gab
mir günstigere Ausblicke für Ersatzgestellung, als ich sie bisher gehabt
hatte. Ich konnte sie nicht nachprüfen. Es machte mir besonders tiefen Ein-
druck, daß 60 000 bis 70 000 Mann aus dem Heimatheer sofort verfügbar
waren. Warum wurden sie nicht früher gegeben? Ich sagte: Wenn ich jetzt
den in Aussicht gestellten Ersatz erhalte, so sehe ich vertrauensvoll in die
Zukunft. Es muß aber bald sein. Der Minister versprach, keinen Tag zu
versäumen.
Ich wandte mich dem Geist in Heer und Heimat zu, der von ent-
scheidender Bedeutung war, und sprach mich darüber aus, wie ich es in
dieser Schrift immer wieder getan habe. Ich betonte, daß das Heer gerade
jetzt Rückhalt gebrauche.
Auf Wunsch des Reichskanzlers äußerten sich die drei anwesenden
parlamentarischen Staatssekretäre über die Stimmung.
Staatssekretär Gröber sprach nicht unmittelbar zu dieser Frage.
Staatssekretär Scheidemann äußerte sich sehr ernst. Er glaube sehr
gern, daß wir noch Hunderttausende für das Heer mobil machen könnten,
aber man täusche sich, wenn man meine, daß diese Hunderttausende die
Stimmung im Heer verbessern würden. „Die Arbeiter kommen mehr und
mehr dazu zu sagen: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken
ohne Ende.“ Staatssekretär Scheidemann gab als Ursache dieser so be-
dauerlichen Stimmung die Verpflegungsnot an, die er mit dem Waggon-
mangel in Verbindung brachte. Ich sagte sofort alle Maßnahmen zu, um
diesem Mangel abzuhelfen, soweit es mir möglich war. Im übrigen
enthielt seine Außerung eine schwere Anklage gegen unsere Regierung.
So weit hatte sie den Geist von 1914 verderben lassen. Die Worte des
Staatssekretärs Scheidemann waren eine Bankerotterklärung der Politik,
die die Reichskanzler und die Mehrheitsparteien nach innen geführt hatten.
Staatssekretär Haußmann glaubte, daß ein Appell an das Volk eine
starke Wirkung haben würde.
Staatssekretär Erzberger war abwesend. Er verlor in diesen Tagen
seinen Sohn, der auch dem Vaterlande dienen wollte.
Vizekanzler v. Payer sah die Stimmung nicht für so ernst an. wie
Staatssekretär Scheidemann; er sprach sich ganz in meinem Sinne etwa
wie folgt aus:
„Als die zweite Wilsonnote kam, da ist die Stimmung zusammen-