608 Der Endkampf Sommer und Herbst 1918
geklappt, und man hat gesehen, daß es um das Leben geht, aber auch diese
Stimmung schlug wieder um. Man erkannte, daß wir als Nation vor
allem auch wirtschaftlich zugrunde gerichtet werden sollen. Jetzt überlegt
sich jeder, müssen wir das erdulden? Wenn wir den Leuten sagen: es gibt
noch eine Möglichkeit, wenn ihr durchhaltet. Könnt ihr euch aber nicht
noch ein paar Wochen halten, dann müßt ihr damit rechnen, daß Deutsch-
land halb und halb aus dem Kreise der Nationen ausgestrichen wird. Ihr
müßt mit einer Belastung durch Entschädigungen rechnen, die uns er-
drücken — dann könnte man sie noch einmal hochbekommen.
Wenn es gelingt, die Note so zu fassen, daß die Bevölkerung die
Sicherheit entnimmt; wir sind zwar in schwerer Lage, aber wir werfen die
Flinte nicht ins Korn — dann ist noch nicht alles verloren.“
Staatssekretär Friedberg sprach ähnlich und meinte: „Jedenfalls muß
schnell gehandelt werden.“
Neben Ersatz war auch noch geistige Spannkraft da, und von ihr hing
alles ab; warum haben die Herren, die sie kannten, sie nicht früher aufge-
rufen? Es ist dies für mich ein ungelöstes, unheilvolles Rätsel.
Über die große militärische Lage konnte ich nichts Neues sagen. Ich
wiederholte über die Westfront das gleiche wie schon am 10. Oktober:
„Ich halte einen Durchbruch für möglich, aber nicht für wahrschein-
lich. Wenn Sie mich auf mein Gewissen fragen, kann ich nur antworten:
Ich fürchte ihn nicht."
Eine Anderung zum Schlechteren bliebe jederzeit möglich. Irgendeine
Überraschung hätten die letzten Kämpfe nicht gebracht. Die Front hielte
nicht besser und nicht schlechter als bisher. Unsere Truppen leisteten das,
was die Oberste Heeresleitung erwartet hätte. Es scheine mir aber die An-
griffskraft des Feindes nachzulassen.
Die Verhandlungen mit Wilson hatten bisher zu keinem Ergebnis ge-
führt. Wir waren nach jeder Richtung hin Herr über unsere Entschlüsse
und konnten die Verhandlungen fortsetzen oder abbrechen. Wir hatten
nach beiden Richtungen freie Hand. Ist das Rüsten ein Verbrechen,
wenn man in ehrlichster Weise den Frieden will und ihn nicht erhält? Ist
es ein Verbrechen, auf einen aufrichtig erstrebten Ausgleich zu verzichten,
wenn der Gegner mehr verlangt, als man geben kann? Ist von irgend-
einer Stelle Trotzki der Vorwurf illoyalen Handelns gemacht worden, als
er Anfang Februar den Friedensvertrag nicht unterschriebb' An unserer
ehrlichen Friedensliebe konnte niemand zweifeln. Auf der anderen
Seite war es unser gutes Recht, Leben und Ehre aufs äußerste zu ver-
teidigen. Die Regierung war es dem deutschen Volke schuldig, alle ver-
tretbaren Mittel anzuwenden, um bei dem ehrlich erstrebten Ausgleich mit
der Entente zum mindesten nicht zu schlecht abzuschneiden. Es war das