614 Der Endkampf Sommer und Herbst 1918
hätte er sein Amt niederlegen müssen. Es kam eine überaus traurige
Stunde; es war klar, die Regierung wollte nicht mehr kämpfen. Sie
glaubte alles preisgeben zu müssen. Hörte sie schon das Grollen der Re-
volution des 9. November? Hoffte sie, das Vaterland vor ihr durch Kapi-
tulation nach außen zu retten? Ich sprach ernst und erregt. Ich warnte
vor dem Vernichtungswillen des Feindes, vor der Hoffnung auf Wilson.
Ich warnte vor dem Bolschewismus in Deutschland und der Hetze
gegen den Offizier, die gerade jetzt in großer Stärke einsetzte. Das war
auch in Rußland der entscheidende Wendepunkt gewesen.
Ich warnte davor, die Stellung Seiner Mojestät gegenüber dem
Heere zu erschüttern. Seine Majestät wäre unser Oberster Kriegsherr,
das ganze Heer sähe seine Spitze in ihm. Wir hätten ihm Treue ge-
schworen. Diese Imponderabilien dürften nicht unterschätzt werden. Sie
lägen uns in Fleisch und Blut und verbänden uns fest mit dem Kaiser.
Was den Kaiser beträfe, beträfe auch den Zusammenhalt des Heeres.
Die Erschütterung der Stellung des Offizierkorps und des Obersten
Kriegsherrn in einem Augenblick, in dem das Heer einer tiefernsten Prüfung
unterworfen wurde, war von unendlicher Kurzsichtigkeit. Es war der
schwerste Schlag gegen die Ordnung im Heer und Staat in einer Zeit, wo“
das Heer berufen war, Hüter der staatlichen Ordnung zu werden. Es hat
später die Mannszucht des Heeres viel mehr untergraben als die über-
hastete Räumung der linksrheinischen Lande, die wir uns auferlegen ließen.
In gleichem Sinne sprach ich mich auch Anfang November einigen
sozialdemokratischen Führern gegenüber aus. Auch sie konnten nicht ver-
stehen, was der Kaiser dem Heere war, nicht nur uns alten Offizieren, son-
dern ebenso dem Mann in Reih und Glied. Viele Beispiele haben nach
dem 9. November meine Anschauung bestätigt.
Dem Vizekanzler v. Payer gegenüber ging ich auf Vorgänge nicht ein,
die am Vormittage im Reichstage sich abgespielt hatten und die Oberste
Heeresleitung betrafen. Ich hatte nur eine mir nicht verständliche Mel-
dung darüber erhalten. Am 24. abends, kurz vor der Abreise von Spaa,
wurde mir nachstehender, von dem Feldmarschall bereits gezeichneter Erlaß
an die Armee über die dritte Wilson-Note vorgelegt, der den im Großen
Hauptquartjer herrschenden Auffassungen entsprach. Es erschien notwen-
dig, daß die Oberste Heeresleitung im Benehmen mit Berlin zu dieser Note
Stellung nahm, um deren zersetzendem Einfluß auf das Heer vorzubeugen.
Das Telegramm an die Armee lautete:
„Zur Bekanntgabe an alle Truppen.
Wilson sagt in seiner Antwort, er wolle seinen Bundesgenossen vor-
schlagen, in Waffenstillstandsverhandlungen einzutreten. Der Waffenstill-