Besprechungen im k. und k. Hauptquartier 59
nicht genug Wert auf alles das gelegt werden, was die Mannszucht
festige. Der k. u. k. Generalstab trieb zuviel Theorie und war dem Trup-
pendienst fremd. Es wurde zuviel von oben her befohlen und jede Freude
am selbständigen Handeln unterdrückt.
Gut ausgebildet war das Etappenwesen, aber es verschlang eine Un-
summe von Offizieren.
Mein Verhältnis zu General v. Conrad ist immer zufriedenstellend
geblieben; es wirkte besonders günstig, wenn wir uns zuweilen sahen.
Manchmal habe ich den Eindruck gehabt, als würden von dem k. u. k. Ver-
bindungsoffizier, der sich in meinem Stabe befand, nicht nur Tatsachen,
sondern auch Klatsch gemeldet. Der Verbindungsoffizier einer verbündeten
Macht hat eine besonders wichtige Aufgabe. Er kann leicht Schaden an-
richten. Darum muß er eine durch und durch gefestigte Persönlichkeit sein.
Die vergangenen und bevorstehenden Operationen wurden besprochen.
Die k. u. k. Armee hatte bei weiterem Rückzuge nicht nur den San, sondern
auch die Wisloka überschritten, sie stand jetzt mit über 40 Divisionen zu-
sammengedrängt zwischen den Karpathen und der Weichsel auf dem west-
lichen Wislokaufer. Mir war es unverständlich, wie die Armee dort Platz
hatte. Die großen Gefangenenabgänge, von denen ich später hörte, gaben
mir eine Erklärung. Die Armee war ungeheuer mitgenommen. Es war
eine ganze Tat des Generals v. Conrad, daß er sich im Vertrauen auf
Deutschlands Hilfe entschloß, Anfang Oktober von neuem die Offensive zu
ergreifen, selbst wenn die k. u. k. Armee zunächst vor russischem Drucke noch
weiter zurückgehen müsse.
Die 9. Armee deckte durch ihren Aufmarsch bereits den Nordflügel
derselben gegen eine mögliche Umfassung; sie sollte zunächst die Höhe
der k. u. k. Armee gewinnen und dann deren Vormarsch nördlich der
Weichsel begleiten. Die verbündeten Armeen hatten den Russen anzu-
greifen, wo sie auf ihn stießen. Die 9. Armee mußte dabei scharf auf ihren
freien linken Flügel und auf ihre offene linke Flanke achten.
Russischerseits standen in dem weiten, nach Westen geöffneten Weichsel-
bogen bisher nur einige Kavallerie-Divisionen und Schützen-Brigaden.
Diese konnten es nicht verhindern, daß der deutsche Grenzschutz sich auf pol-
nischefn Gebiet festgesetzt hatte und das Landwehrkorps Woyrsch quer durch
Polen über Radom an die Weichsel marschiert war, um hier, nördlich der
Sanmündung, überzugehen. Das Korps hatte der k. u. k. Armee noch vor
ihrer Niederlage östlich des Stroms die Hand gereicht.
Die gewaltige Masse des russischen Heeres stand noch östlich, mit
schwachen Teilen westlich des San, mit den in Ostpreußen geschlagenen
Teilen am oberen Narew und Njemen. Die sibirischen Armeekorps waren
noch nicht sämtlich an der russischen Westgrenze eingetroffen, sie lagen teil-