80 Der Feldzug in Polen Herbst 1914
Nach dem Eintreffen der k. u. k. Truppen konnte das sich bildende
Korps Breslau etwas schärfer zusammengezogen werden. Zwar trat durch
diese Maßnahmen von Mitte November ab eine gewisse Verstärkung der
Front ein, aber sie blieb für einen großen Schlag zu schwach.
Später hieß es, die k. u. k. Armee hätte Oberschlesien verteidigt. Tat-
sächlich verteidigte sie auch nördlich Tschenstochau die eigene Heimat.
Es war natürlich, daß sich in dieser Lage die Blicke wieder auf den
Westen richteten. Ich legte mir die Frage vor, ob noch Aussicht vorhanden
wäre, bei Ypern einen Erfolg zu erringen, oder ob es besser sei, im Westen
sich endgültig auf die Verteidigung zu beschränken und die beabsichtigten
Operationen gegen Rußland so stark wie möglich zu führen. General
v. Conrad hatte dies im November vorgeschlagen. Dieser Standpunkt
schien mir der richtige zu sein, und ich bat die Oberste Heeresleitung um
Verstärkung aus dem Westen. Es wurden uns außer den beiden Kaval-
lerie-Divisionen Kräfte in Aussicht gestellt; sie kamen aber zu spät und auch
zu vereinzelt. Der Flankenstoß konnte nur dann kriegsentscheidend werden,
wenn er überraschend, d. h. schnell und versammelt, gepaart mit einem
starken Frontalangriff, geführt wurde. Wir durften im Osten mit dem
Beginn der Operation nicht warten, selbst wenn wir am 10. November
über die Verstärkung wirklich klar gesehen hätten.
Die Truppen, die aus dem Westen kamen, hatten durch die Kämpfe
so stark gelitten, daß sie ihren Stärken nach ebensowenig wie die Ost-
truppen voll kampffähig waren. Die gänzlich anderen Verhältnisse des
polnischen Kriegsschauplatzes im Vergleich mit dem westlichen mußten zu-
dem ihre Leistungen zunächst beeinträchtigen.
Ob bei der Kräfteabgabe aus dem Westen anders verfahren werden
konnte, vermag ich im einzelnen nicht zu beurteilen. Eine Kritik kann von
mir daher auch nicht ausgesprochen werden. Ich habe stets den Standpunkt
vertreten, auch als Lehrer an der Kriegsakademie, daß jede nicht sachlich
begründete Kritik auf den Kritiker zurückfällt.
Bald nach dem Kav. Korps v. Richthofen, das rechtzeitig für den Vor-
marsch zur Stelle war, traf das Kav. Korps v. Hollen, 2. und 4. Kav. Div.,
ein. Es wurde dem Korps Zastrow zugeführt.
Später, aber erst nach Beginn des Vormarsches, wurden überwiesen:
das III. R. K., General v. Beseler, mit der 5. und 6. Res. Div., das
XIII. A. K., General v. Fabeck, mit der 26. Inf. Div. und 25. Res. Div., das
II. A. K., General v. Linsingen, mit der 3. und 4. Inf. Div. und das
XXIV. R. K., General v. Gerok, mit der 47. und 48. Res. Div. Ihr Ein-
satz erfolgte nach den Bedürfnissen der Lage.
Die Mittel, die uns zu Beginn der Operation am 10. November zur
Verfügung standen, waren unvollkommen. Trotzdem mußte versucht