90 Die Winterschlacht in Masuren Februar/März 1915
unsere Schuldigkeit getan hatten, war das Gefühl der Dankbarkeit sehr
bald geschwunden. Alles mögliche geschah, was unseren Truppen das
Leben unbehaglich machte. Die Magyaren sind ein kraftvolles Herrenvolk,
ihnen fehlte aber das Verständnis für die gemeinsamen Interessen Öster-
reich-Ungarns und die berechtigten Wünsche und Bedürfnisse der in Ungarn
sc zahlreich lebenden Nationalitäten. Ungarn war der stärkere Teil der
Doppelmonarchie und mißbrauchte diese Stellung zu einer unglücklichen
auswärtigen Politik des Gesamtstaats gegenüber Serbien und Rumänien.
Leider ließen wir dies zu.
Das Hauptquartier des Oberkommandos der Südarmee war Mun-
kacs. General v. Linsingen und ich bereisten von dort das Aufmarsch-
gebiet und nahmen die Verbindungen mit den benachbarten Kommando-
behörden und den k. u. k. Truppen auf, die bereits im Gebirge standen und
zur Südarmee treten sollten.
Für die Truppe war ungenügend gesorgt, für den Stellungsausbau
ebensowenig geschehen wie für die Unterkunft. Es blieb vieles nachzuholen.
Bei einem Gange in die Waldberge trat ich an einen Posten heran.
Er machte mir in fremder, ich weiß nicht mehr welcher Sprache eine Mel-
dung. Sie wurde auch von den mich begleitenden k. u. k. Offizieren nicht
verstanden. So bekam ich einen Begriff von den Schwierigkeiten, mit
denen diese Armee zu rechnen hatte. Sie wurden noch dadurch erhöht, daß
die Nationalitäten in den Regimentern sehr stark vermischt wurden, um sie
zuverlässiger zu machen. Tschechische und rumänische Regimenter waren
zum Feinde übergegangen. Diese Volksstämme wurden nun auf viele
Regimenter verteilt. Die Maßnahme hat nicht geholfen. Sie hat den
inneren Wert der tapferen ungarischen und der besonders tüchtigen deut-
schen Regimenter sehr wesentlich herabgesetzt. Sie hat zudem die sprach-
lichen Schwierigkeiten ganz außerordentlich erhöht.
Auch hier, wie seinerzeit bei meiner Fahrt im September 1914 nach
Neu-Sandec, gewann ich den Eindruck völliger Rückständigkeit bei
allen den Volksstämmen, die nicht zu den herrschenden gehören. So führte
mich auch eine Fahrt in die Huzulendörfer. Die Behausungen dieses un-
glücklichen Stammes werde ich in ihrer Dürftigkeit stets in Erinnerung be-
halten. Wie anders lagen dank weiser Maßnahmen seiner Fürsten die
Dinge in Deutschland, und wie hoch standen Kultur und Fortschritt bei uns
im Vergleich zu Österreich-Ungarn. Als ich jene Huzulenhütten sah, da
wurde mir klar, daß dieses Volk nicht wissen könne, wofür es sich schlüge.
Österreich-Ungarn hatte unendlich viel versäumt; als verbündete Macht
hätten wir das zu verhindern wissen müssen. Hätten die Doppelmonarchie
und die k. u. k. Armee nur halbwegs das geleistet, was mit Fug und Recht
Deutschland von ihnen erwarten konnte, so wären deutsche Truppen wenig-