222 XI. Bevölkerungspolitik und Fürsorge für Kriegsteilnehmer
schädigt. Besonders sind auch die Festbesoldeten der mittleren und weniger
begüterten Stände betroffen. Diese Volkskreise bedeuteten bisher einen
sehr leistungsfähigen, gesunden Bestandteil des Stoates, aus ihnen stiegen
auch zahlreiche wertvolle Einzelkräfte empor, die nun zum Teil gehemmt
und vermindert werden.
Ungünstige Wirtschaftslage ist bei einem Kulturvolk auch ein Grund
für die Verzögerung und Verringerung der Eheschließungen.
11. Mit der Tilgung der Kriegskosten und Ausgleichung der Kriegs-
schäden werden voraussichtlich mehrere Geschlechter belastet bleiben. Für
ihren gesundheitlichen Schutz, Entwicklung ihrer körperlichen und geistigen
Leistungsfähigkeit können nur begrenzte Mittel aufgebracht werden.
12. Die infolge Kriegsverwundungen und Krankheiten verstorbenen
Männer bildeten in körperlicher Hinsicht — großenteils auch hinsicht-
lich ihrer Geistes= und Charaktereigenschaften — die Blüte
der deutschen Manneskraft. Zweifellos hätten sie einen besonders tüchtigen
Nachwuchs erzeugen und erziehen können.
C. Deutschlands Wehrkraft bis zum Kriege.
Bis zum Kriege war Deutschlands Wehrkraft noch nicht
erheblich gesunken, aber schon am 24. Juli 1909 wies der Generalstabsarzt
der Armee durch einen Vortrag im „Wissenschaftlichen Senat bei der
Kaiser-Wilhelms-Akademie“") darauf hin,
1. daß und warum es aller Anstrengungen bedürfe, um sie auf der
Höhe zu halten und zu bessern.
2. Die Wehrkraft ist abhängig von der Geburtenziffer und der
Säuglingssterblichkeit.
3. Diese übt auch Einfluß auf die Zahl und Beschaffenheit
der Tauglichen, indem in Gegenden mit hoher Säuglingssterblich-
keit auch die Überlebenden vielfach minderwertig sind; alle Maßnahmen
zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit sind daher auch im Interesse
der Wehrkraft des Volkes lebhaft zu unterstützen.
4. Der Beruf der Militärpflichtigen an sich ist von
geringerem Einfluß auf ihre Körperbeschaffenheit und Militärtauglichkeit
als Herkunft und Abstammung (Stadt= und Landbevölkerung).
5. Die Zahl der aus der Armee entlassenen Dienstunbrauch-
baren und Invaliden (Rentenempfänger) ist zwar gewachsen, läßt
aber die Annahme eines schlechter werdenden Ersatzes nicht ohne weiteres
zu, da vielfache Umstände, z. B. die Einführung der zweijährigen Dienst-
*) O. v. Schjerning: „Sanitätsstatistische Betrachtungen über Volk und Heer“.
Bibliothek v. Coler und v. Schjerning, Bd. 38.