Denkschrift über Bevölkerungspolitik 225
b) Der Hauptgrund für die Verzögerung und Verringerung der
Heiraten ist wirtschaftlicher Art. Viele Männer möchten sich durch
die Gründung des Haushalts nicht pekunür verschlechtern; noch mehr sind
oder glauben sich durch unsere neuzeitlichen Standes= und Erwerbsver-
hältnisse an rechtzeitiger Verheiratung verhindert (langwieriger, kost-
spieliger Bildungsgang, späte Anstellung, „standesmäßige“ Lebenshaltung).
Eine wesentliche Erhöhung des Anfangseinkommens ist aus
finanziellen und ökonomischen Gründen weder im Beamtentum noch in
freien Berufen durchzuführen; nur größere Einfachheitdes Lebens
und Vorurteilslosigkeit können helfen. Die Gebildeten müssen
mit besserem Beispiel vorangehen. Die Aufstiegmöglichkeiten dürfen nicht
unnötig weiter erschwert werden. — Erwünscht ist, daß die Festbesoldeten
im Staats= und Privatdienst mit frühestens 25, spätestens 35 Jahren bei
Gründung eines Hausstandes Zubußen erhalten und daß die Ver-
heirateten bei der Anstellung, bei Umzügen, beim Aufrücken in höhere
Gehaltsstufen und bei der Pensionierung sowie bei Steuerabgaben gegen-
über den Unverheirateten bevorzugt werden. Diese sind dafür
— etwa vom 30. Lebensjahr ab — steuerlich stärker zu belasten. Das
durchschnittliche Heiratsalter ist jetzt 27 Jahre. Durch obige
Maßnahmen würde zweifellos — besonders für die höher Gebildeten —
ein früheres erreicht werden, was aus staatspolitischen, sittlichen und
hygienischen Gründen höchst erwünscht ist.
c) Eine Anzahl der Männer vermeidet die Ehe, weil der freie
Geschlechtsverkehr ihnen größere Befriedigung bei geringeren
materiellen und ethischen Gegenleistungen gewährt. Hiergegen hilft nur
bessere sittliche und staatsbürgerliche Einsicht, strengere Beurteilung und
Bestrafung des Ehebruchs; schärfere Erfassung der Alimentationspflicht,
Verfolgung der kriminellen Fruchtabtreibungen, Unterdrückung des Ver-
triebes empfängnisverhütender Mittel (siehe unten), Junggesellensteuer.
3. Die Zunahme der Ehescheidungen zeugt von einer grund-
sätzlichen Verkennung der gegenseitigen Pflichten der Ehegatten und
ihrer Pflichten gegenüber der Allgemeinheit. Das öffentliche Gewissen
muß durch Kirche, Schule und Presse hiergegen wachgerufen werden.
4. Die Zahl der Ehen stieg von 1870 bis 1883; seitdem nimmt sie
ab. Die Fruchtbarkeit hatte schon vorher nachgelassen und sinkt
bisher dauernd.
Gründe:
a) körperliche,
b) sittlich-wirtschaftliche.
5. Zu a. Die Unfruchtbarkeit des Mannes ist nur selten
Urkunden der Obersten Heeresleitung 1916—1918. 15