Denkschrift über Bevölkerungspolitik 229
wenn auch in veränderter Form, anzustreben. Die Krankenkassen können
schon jetzt verpflichtet werden, die Schwangeren und Wöchnerinnen länger
als **# zu unterstützen (12 statt 8 Wochen).
In gleichem Sinne wirken die besonderen Kostzuwen-
dung. u welche allen werdenden und stillenden Müttern
vom Kriegsernährungsamt zugebilligt sind.
21. Mit jedem weiteren Kinde sollte eine steuerliche
Bevorzugung der Familie verbunden sein, die nach der Höhe des
Einkommens abzustufen ist. Hierzu treten: Schulgeldnachlässe und die
unter Nr. 2 b Seite 20 erwähnten Begünstigungen der Verheirateten. Zur
Kostendeckung können nicht nur die Junggesellen, sondern auch die
unverheirateten Frauen entsprechend ihrem Einkommen durch
Sonderabgabe herangezogen werden; desgleichen ohne Härte die Familien,
die ihre Kinder durch Tod verloren haben. Hierbei ist die Hinter-
lassenschaft der Kinderlosen und Kinderarmen ein ein-
leuchtendes Objekt höherer Besteuerung.
22. Im Jahre 1913 offenbarte sich eine tiefgehende kinderunlustige,
ja kinderfeindliche Bewegung in Arbeiterkreisen, die auf der willkürlichen
Geburtbeschränkung ein System des Klassenstaates aufzubauen gedachten:
Der „Gebärstreik“. — Dem muß mit allen Mitteln entgegengewirkt
werden. Außer dem schlechten Beispiel der Kinderarmut, das die oberen
Kreise geben, wirkt z. B. auch die Zurücksetzung kinderreicher Arbeiter-
familien bei Stellenvergebungen und Vermietungen, ihre Verspottung als
„dumm"“ und „unsittlich“ aufreizend. Jede Mutter hat Anspruch auf Hoch-
achtung und Hilfe; je kinderreicher und ärmer sie ist, um so mehr.
23. Besonders für Arbeiterkreise ist die Beibehaltung des im Kriege
eingeführten Sparzwanges Jugendlicher segensreich. Die Er-
sparnisse müßten bei Heirat und Familienzuwachs ausgezahlt werden.
24. Billige Gemeinde= oder Genossenschaftsdar-
lehen zur Hausstandsgründung sind angesichts der noch lange
zu erwartenden Kriegsteuerung, namentlich in Möbeln und Wäsche,
dringend erwünscht, da viele junge Arbeiter-Ehen nach dem Kriege sonst
nicht oder unter schlechten Kinderaussichten geschlossen werden.
25. Das schwierigste, aber wichtigste Mittel bleibt eine gesündere
„Rationalisierung der Arbeit. Das aufreibende Akkordlohnsystem,
die fortschreitende Teilung und Mechanisierung der Arbeit, die Einbe-
ziehung der Frau schafft zwar größere Einkünfte für Arbeitnehmer und
geber, aber es verbraucht schneller die körperlichen und seelischen Kräfte,
macht begehrlicher und genußsüchtiger und untergräbt den Familien-
sinn.