Denkschrift über Bevölkerungspolitik 237
56. Zweifellos hat Deutschland vorher zu üppig und kostspielig ge-
gessen und getrunken, aber zweifellos hat sich jetzt der durchschnittliche Er-
nährungs- und Kräftezustand des Volkes je länger, je mehr
durch die Absperrung der Zufuhr und die Befriedigung der starken Heeres-
bedürfnisse verschlechtert. Besonders nachteilig hat der Fett mangel ge-
wirkt, am meisten auf das höhere Lebensalter. Doch auch die anderen
Nahrungsmittel sind so knapp und teuer geworden, daß die berechtigten
Ansprüche des Körpers bei der Mehrzahl der Bevölkerung nicht immer
genügend gedeckt wurden.
57. Bis zum Friedensschluß ist eine wesentliche Ver-
mehrung der Produktion trotz aller erfolgten und etwa noch
zu findenden Verbesserungen nicht möglich. Alsdann wird, da auch das
Ausland an Nahrungsmangel leidet, noch geraume Zeit vergehen, ehe die
Zwangsrationierung abgebaut werden kann. Inzwischen bedürfen die
heimische Erzeugung und die ausländische Einfuhr der größtmöglichen Ver-
stärkung sowie der Preisregelung und Verteilung unter Mitwirkung des
Staates.
58. Gelingt es, vor allem mehr Fette und ÖOle zu schaffen, so
kann die Fleischkost unbedenklich gegen den früheren Verbrauch zu-
gunsten der Pflanzenkost (Kohlehydrate und Nährsalze) vermindert
bleiben.
59. Für Kinder, Kranke und Schwache ist Milch am dringlichsten
nötig. Auch das Bedürfnis nach Zucker verlangt besondere Rücksicht.
60. Hingegen muß die Trinkbranntwein= und Bier-
erzeugung weit zurückgestellt werden.
61. Ziel aller Ernährungspolitik bleibt Unabhängigkeit vom Auslande
durch Vermehrung und Verbesserung der inländischen Erzeugung, Aus-
gleich der Kriegs-Nährschäden und Sammlung von neuen Nährmittelvor-
räten durch vergrößerte Einfuhr.
Volkswirtschaft.
62. Trotz einer Mißernte in Halmfrüchten (1914) und in Kartoffeln
(1916) und trotz Beschränkung der Einfuhr hat die deutsche Land-
wirtschaft im Kriege fast ganz durch eigene Kraft das deutsche Volk,
das Heer mit seinem gesteigerten Bedarf und die Kriegsgefangenen versorgt.
63. Der Rindviehbestand betrug am 2. 12. 1912 rund 20 182 000
Stück, am 1. 2. 1917 rund 21 337 000 Stück.
Der Schweinebestand übertrifft (mit 13 Millionen Tieren) immer noch
alle anderen Länder (im Verhältnis zur Bevölkerungszahl) und verträgt
eine Abschlachtung (von 3 bis 3½ Millionen) ohne Gefährdung der
Zuchttiere.