20 I. Friedensarbeit für die Verstärkung der deutschen Wehrkraft
äußeren Krisis mit Aussicht auf Erfolg begegnen zu können. Ich habe
mich aber den Schwierigkeiten unserer finanziellen und innerpolitischen
Zustände nicht verschlossen. Ich habe deshalb im Einverständnis mit dem
Herrn Kriegsminister davon Abstand genommen, eine erhebliche Ver—
mehrung unserer Friedenspräsenzstärke für das nächste Quinquennat zu
fordern und auch jetzt nicht die Formierung neuer Truppen aus den reich-
lich vorhandenen Mannschaften des Beurlaubtenstandes erbeten.
Es wird mir daher um so dringender zur Pflicht, die Nutzbarmachung
schon vorhandener Formationen anzustreben, zu deren Kriegsbrauchbarkeit
keine besonderen finanziellen Mittel, sondern nur eine planmäßige Vor-
bereitung und Bereitstellung erforderlich sind. Aus diesem Grunde habe
ich die Forderung nach einer Vorbereitung der Mobilisierung des Ersatz-
heeres gestellt, und ich sehe in dieser Forderung ein Gebot der Selbst-
erhaltung des Staats, von dem uns keine Gründe entbinden können.
In meinem Schreiben vom 1. 7. 1910 habe ich betont, daß ich zunächst
in dem Ersatzheer nur eine bereite Reserve sehe, der Teile entnommen
werden können, um „in Notlagen“ auf Nebenkriegsschauplätzen, gestützt
auf Festungen, Flußläufe und sonstige Abschnitte, einem neu auftretenden
Gegner die Besitzergreifung des Landes und die Zerstörung unserer Hilfs-
mittel, die wir für unsere Kriegführung dringend gebrauchen, zu verwehren
oder doch wenigstens zu verzögern.
Das Kriegsministerium scheint zu befürchten, daß eine sofortige Ver-
wendung des gesamten mobilen Ersatzheeres gemeinsam mit dem mobilen
Feldheer beabsichtigt sei. Das würde schon wegen des Eisenbahnauf-
marsches nicht möglich sein. Wird die Verwendung des Ersatzheeres nicht
nötig, so wird es seiner Bestimmung: die Verlustausfälle der Feldarmee
zu ergänzen, unbeschadet seiner mobilen Bereitstellung zurückgegeben
werden können.
Schon das Vorhandensein einer wirklich schlagfertigen Ersatzarmee
im Lande nach Versammlung unseres Feldheeres an der Grenze ist einer
feindlichen Koalition gegenüber, mit der wir aller Wahrscheinlichkeit nach
zu rechnen haben werden, von großer Bedeutung. Ein neuer Gegner, der
unser Land schutzlos vor sich sieht, wird leichter zum Angriff geneigt sein,
als wenn er in ihm noch eine organisierte Armee weiß. Diese muß in
der letzten Not ebenso eingesetzt werden können wie das Feldheer, sei es
allein, sei es zusammen mit dem Feldheer oder mit Teilen desselben. Jeder
Staat, der mit äußerster Energie um seinen Bestand ringt, muß alle Kräfte
und Hilfsmittel einsetzen, wenn er den höchsten Pflichten genügen will.
In meinem Schreiben vom 1. 7. 1910 habe ich die beantragten Vor-
bereitungen für den Schutz von Schleswig-Holstein in den Vordergrund
gestellt, weil sich dort eine Lücke am empfindlichsten geltend macht. Ob