Zur Beurteilung der Politik Wilsons 351
die damals bestand, annehmbar gefunden hätte? Wenn wir den Präsidenten Wilson
als unseren Sachwalter akzeptierten, ja, dann waren wir doch gezwungen, alle Frie-
densbedingungen der Entente, die er uns vorlegte, anzunehmen. Wir waren ja in
seiner Hand. Wir konnten ja nicht sagen: diese Bedingungen lehnen wir ab; das
hätte die Erneuerung des Krieges mit der Entente und mit Amerika bedeutel, und
dazu wäre das deutsche Volk nicht zu haben gewesen. Selbstverständlich nichtl Wir
wären dann vollkommen in der Gewalt des Präsidenten Wilson gewesen; ich wieder-
hole: die Erfahrung des Versailler Friedens würde selbst einen solchen Frieden noch
für besser erscheinen lassen. Aber konnten wir — und das war die Kernfrage, die uns
damals Ende Januar gegenüberstand, — in der damaligen Lage uns so in die Hand
von Wilson begeben? Ich habe es für unmöglich gehalten. Wenn Sie es für einen
Fehler ansehen, verurteilen und verdammen Sie mich deshalb. Ich habe es für un-
möglich gehalten.
c) Beide urkundlich fefigeslellten Tatsachen zeigen klar, wie es mit der Wilson-
schen") Vermitklung bestellt war.
Auffallend ist nur, daß der Botschafter Graf v. Bernstorff beide so ungemein
wichtigen Bekundungen seinem vorgesetzten Reichskanzler nicht seinerzeit gemeldet, son-
dern ihn über Wilsons Politik in so wichtigen Punkten im unklaren gelassen hat.
B
Brief eines in amerikanischer Gesangenschaft gewesenen deutschen Offiziers.
München, Fraunhoferstraße 14, 7. 11. 1919.
Eure Exzellenz!
Vor wenigen Wochen bin ich aus französisch-amerikanischer Ge-
fangenschaft zurückgekehrt und habe manches in dem 15monatigen Ge-
fangenenleben gesehen und gehört, was auch der Allgemeinheit von Inter-
esse sein könnte.
Heute nehme ich nur das vorweg, was jetzt in dem parlamentarischen
Untersuchungsausschuß immer aufgegriffen wird, den U-Bcotkrieg. Hier-
über habe ich eine Anzahl von Gesprächen amerikanischer Offiziere und
Mannschaften gehört, mit denen wir uns ja meist gut standen. Den Haß,
der überall beim Franzosen wirkt, kennt der Amerikaner nicht. Frug
man Amerikaner, ob sie wegen des verschärften U-Bootkrieges in den
Kampf gegangen wären, so lächelten sie schlau und sagten: „Ja, so steht'’s
in der Zeitung bei uns und, was wir gar nicht verstehen, auch bei
euch! Wir mußten doch unser Geld schützen. Hättet ihr gewonnen, und
das hättet ihr, wenn wir nicht gekommen wären, so wäre unser ganzes
Geld verloren gewesen. Ihr wolltet ja nichts von uns.“ Eine ähnliche
Auffassung eines anderen amerikanischen Offiziers ist kurz folgende: „Der
verschärfte U-Bootkrieg ist für die Masse bei uns der Grund für den
Eintritt Amerikas in den Krieg. Unsere Kinos hatten besonders scharf
die Stimmung gegen Deutschland geschürt; wir mußten aber aus geschäft-
lichen Gründen kämpfen, denn ihr Deutschen seid schon obenauf gewesen.
) Anmerkung von Seite 387.