Full text: Urkunden der Obersten Heeresleitung über ihre Tätigkeit 1916/18

Forts. d. Verhandlungen unter Mitwirkung v. Bethmann Hollwegs u. ihr Scheitern 391 
  
  
wurde festgestellt, daß Herr Erzberger") ihn in einer Versammlung — wenn ich nicht 
irre, in Frankfurt a. M. — vertraulich verwertet hatte. Wenn man ein Geheimnis 
einem größeren Kreise mitteilt, so pflegt es den Kreis zu durchbrechen. Das Geheimnis 
machte in diesem Falle auch an der deutschen Grenze nicht halt, sondern fand seinen 
Weg nach Paris. Der geheime Immediatbericht Czernins wurde von einer französischen 
Zeitung — ich glaube, es war der „Temps“ — mit besonderer Genugtuung besprochen. 
Wenn man den Inhalt des Berichts ins Auge faßt, so kann man sich den Eindruck vor- 
stellen, den er bei der Entente machte. Ein französischer Diplomat hat in Wien ver- 
raten, es habe 1917 einen Augenblick““) gegeben, wo Lloyd George, der über Krieg und 
Frieden entschied, in seiner Siegeszuversicht infolge der Wirkung des U-Bootkrieges 
wankend geworden und Verständigungsgedanken nicht ganz unzugänglich gewesen sei. 
Lloyd George und Ribot hätten im Begriff gestanden, nach Rom zu reisen, um mit dem 
italienischen Kollegen die Frage eines Verständigungsfriedens zu beraten. Die geplante 
Reise sei aufgegeben worden, weil durch das Eintreffen österreichischer Nachrichten die 
Lage sich geändert habe. Der Diplomat hat auch verraten, daß der Immediatbericht 
Czernins in Paris bekannt wurde und in den amtlichen Kreisen frohes Aufsehen er- 
regte. Man habe danach geglaubt, daß Österreich, vielleicht auch Deutschland nahe vor 
dem inneren Zusammenbruch ständen, man habe geglaubt, den Sieg in der Tasche zu 
haben, und habe dementsprechend den Verständigungsgedanken definitio fallen gelassen. 
Sogar der Gedanke eines Sonderfriedens mit Wien, auf den man zeitweise gehofft 
habe, habe an Interesse verloren. Man habe jeden Monat, fast jede Woche den Zu- 
sammenbruch der Mittelmächte fest erwartet und habe sich deren kraftvolle Offensiven 
im Herbst 1917 und im Frühjahr 1918 gar nicht erklären können. Man habe vor 
einem Rätsel gestanden. — Das ist begreiflich; denn die Entente konnte die Übertreibun- 
gen des Czerninschen Berichts und den Zweck desselben nicht übersehen. Auch Herr 
Erzberger konnte das nicht und hat es wohl versäumt, festzustellen, welche Bewandtnis 
es mit dem Bericht hatte und inwieweit er begründet war. Beeinflußt durch die pessi- 
mistische Schilderung, scheint er geglaubt zu haben, die drei bis vier Monate, die Kaiser 
Karl angegeben hatte, beachten und den Krieg abblasen zu müssen. Er hat die Deutschen 
entmutigt, die Gegner aber sehr gegen seinen Willen ermutigt, mehr als das: durch die 
unglückliche Verwertung des Berichts in jener Versammlung die letzte Chance einer 
Verständigung vereitelt. Nachdem die Engländer das Convoi-System eingeführt hatten, 
verlor der U-Bootkrieg seine volle Wirkung, die Gefahr war für England vorüber, 
Lloyd Georges Siegeszuversicht war vollkommen wiederhergestellt, der Entschluß, den 
Kampf bis zum völligen Siege durchzuführen, fester denn je." 
Wien, 27. Juli 1919. Der Korrespondenz Wilhelm ist vom Grafen 
Czernin folgendes Telegramm zugegangen: 
Grundlsee, 27. Juli 1919, nachm. um 4 Uhr 10 Min. 
Um zahlreichen Anfragen der Presse nachzukommen, bitte ich um Veröffentlichung 
folgender Zeilen: Soweit ich aus den Auszügen der Presse beurteilen kann, gibt die 
Rede Erzbergers kein erschöpfendes Bild der Vorgänge. Viele ungemein wichtige 
Vorfälle sind gar nicht erwähnt, und dadurch entsteht ein falsches Gesamtbild. Was 
meinen von Erzberger erwähnten Bericht vom April 1917 anbelangt, in welchem ich 
für eine Beendigung des Krieges durch territoriale Opfer der Mittelmächte riet, so 
war dieser Bericht ausschließlich für die beiden Kaiser und den Reichskanzler bestimmt. 
Es bestand damals die begründete Hoffnung, zu einem Verständigungsfrieden, wenn 
auch mit Opfern, zu gelangen. Von einer nichtverantwortlichen Seite wurde dieser 
Bericht ohne mein Wissen und hinter meinem Rücken Herrn Erzberger übergeben, welcher 
*) War am 22., 23. April in Wien. Der Verfasser. 
*?) Graf Wedel sagt an einer anderen Stelle, daß dies der einzige Augenblick war, 
an dem England und Frankreich ernstlich an einen Friedensschluß dachten! Der 
Verfasser.
	        
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