436 XIX. Der Friedensvorschlag des Papstes und der „englische Friedensfühler“
Ehren zu erkämpfen. Der Kaiser hat das Gelöbnis, das er damals ablegte, in
26 Jahren segensreicher Regierung, aller Anfeindungen und Versuchungen ungeachtet,
durch Taten erhärtet. Auch in der Krisis, die zu dem gegenwärtigen Weltbrand führte,
ist das Bestreben Seiner Moajestät bis zum letzten Augenblick dahin gegangen, den
Streit durch friedliche Mittel zu schlichten; nachdem der Krieg gegen seinen Wunsch und
Willen ausgebrochen war, hat der Kaiser im Verein mit seinen hohen Verbündeten
zuerst die Bereitwilligkeit zum Eintritt in Friedensverhandlungen feierlich kund-
gegeben.
Hinter Seiner Majestät stand in werktätigem Willen zum Frieden das deutsche
Volk. Deutschland suchte innerhalb der nationalen Grenzen freie Entwicklung seiner
geistigen und materiellen Güter, außerhalb des Reichsgebiets ungehinderten Wett-
bewerb mit gleichberechtigten und gleichgeachteten Nationen. Ein ungehemmtes Spiel
der friedlich in der Welt miteinander ringenden Kräfte hätte zur höchsten Vervoll-
kommnung der edelsten Menschheitsgüter geführt. Eine unheilvolle Verkettung von
Ereignissen hat im Jahre 1914 einen hoffnungsreichen Entwicklungsgang jäh unter-
brochen und Europa in einen blutigen Kampfplatz umgewandelt.
In Würdigung der Bedeutung, die der Kundgebung Seiner Heiligkeit zukommt,
hat die kaiserliche Regierung nicht verfehlt, die darin enthaltenen Anregungen ernster
und gewissenhafter Prüfung zu unterziehen; die besonderen Maßnahmen, die sie in
engster Fühlung mit der Vertretung des deutschen Volkes für die Beratung und Be-
antwortung der aufgeworfenen Fragen getroffen hat, legen davon Zeugnis ab, wie
sehr es ihr am Herzen liegt, im Einklang mit den Wünschen Seiner Heiligkeit und
der Friedenskundgebung des Reichstags vom 19. Juli d. J. brauchbare Grundlagen
für einen gerechten und dauerhaften Frieden zu finden.
Mit besonderer Sympathie begrüßt die kaiserliche Regierung den führenden Ge-
danken des Friedensrufs, worin sich Seine Heiligkeit in klarer Weise zu der Über-
zeugung bekennt, daß künftig an die Stelle der materiellen Macht der Waffen die
moralische Macht des Rechtes treten muß. Auch wir sind davon durchdrungen, daß
der kranke Körper der menschlichen Gesellschaft nur durch eine Stärkung der sittlichen
Kraft des Rechtes gesunden kann. Hieraus würde nach Ansicht Seiner Heiligkeit die
gleichzeitige Herabminderung der Streitkräfte aller Staaten und die Einrichtung eines
verbindlichen Schiedsverfahrens für internationale Streitfragen folgen. Wir teilen
die Auffassung Seiner Helligkeit, daß bestimmte Regeln und gewisse Sicherheiten für
eine gleichzeitige und gegenseitige Begrenzung der Rüstungen zu Lande, zu Wasser und
in der Luft sowie für die wahre Freiheit und Gemeinsamkeit der hohen See diejenigen
Gegenstände darstellen, bei deren Behandlung der neue Geist, der künftig im Ver-
hältnis der neuen Staaten zueinander herrschen soll, den ersten verheißungsvollen
Ausdruck finden müßte. Es würde sich sodann ohne weiteres die Aufgabe ergeben,
auftauchende internationale Meinungsverschiedenheiten nicht durch das Aufgebot der
Streitkräfte, sondern durch friedliche Mittel, insbesondere auch auf dem Wege des
Schiedsverfahrens, entscheiden zu lassen, dessen hohe friedensstiftende Wirkung wir
mit Seiner Heiligkeit voll anerkennen. Die kaiserliche Regierung wird dabei jeden
Vorschlag unterstützen, der mit den Lebensinteressen des Deutschen Reiches und Volkes
vereinbar ist. Deutschland ist durch seine geographische Lage und seine wirtschaftlichen
Bedürfnisse auf den friedlichen Verkehr mit den Nachbarn und mit dem fernen Aus-
land angewiesen. Keit Volk hat daher mehr als das deutsche Anlaß, zu wünschen, daß
an die Stelle des allgemeinen Hasses und Kampfes ein versöhnlicher und brüderlicher
Geist zwischen den Nationen zur Geltung kommt.
Wenn die Völker, von diesem Geist geleitet, zu ihrem Heile erkannt haben werden,
daß es gilt, mehr das Einigende als das Trennende in ihren Beziehungen zu betonen,
wird es ihnen gelingen, auch die einzelnen noch offenen Streitpunkte so zu regeln, daß
ledem Volk befriedigende Daseinsbedingungen geschaffen werden und damit eine
Wiederkehr der großen Völkerkatastrophe ausgeschlossen erscheint. Nur unter dieser
Voraussetzung kann ein dauernder Friede begründet werden, der die geistige Wieder-